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Tal ohne Sonne

Tal ohne Sonne

Titel: Tal ohne Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dich?« fragte Zynaker und nahm Leonora die Flasche ab.
    »Miserabel.«
    »Der Weg ist wirklich höllisch.« Er sah den Berg hinauf. Auf seiner Kuppe wuchsen dicht an dicht riesige Bäume mit weiten Blätterdächern und Stämmen, die nur mehrere Mann umfassen konnten. »In vier Stunden, schätze ich, sind wir oben. Dann haben wir das Tal unter uns.«
    »Es ist nicht der Weg, Schatz. Der Gedanke, daß in einigen Stunden alle Hoffnungen vernichtet sind, ist wie ein Stein, der auf das Herz drückt. Wenn dieser ›Geist‹ nicht mein Vater, das Tal aber wirklich das unbekannte ›Tal ohne Sonne‹ ist, weiß ich, daß wir meinen Vater nie finden werden. Ob bei den Pogwa oder Duna, bei den Hawa oder Enga, kein Stamm wird uns über ihn etwas sagen. Vielleicht ist er hier irgendwo einsam gestorben, verletzt vom Absturz und elend verhungernd und verdurstend.«
    »Ich habe schon gedacht, daß der ›Geist‹ auch Grant sein könnte, der überlebt hat.«
    »Möglich. Daran habe ich auch gedacht.« Schmitz streichelte Laktas Haar und spürte, wie ihr Körper sich an ihn drängte. »Wenn er's ist, erfahren wir das Schicksal deines Vaters. Dann hat sich deine Expedition gelohnt.«
    »Und wenn es diesen ›Geist‹ nur in der Sage der Stämme gibt?« fragte Leonora.
    »Das einzige, was wir sicher wissen, ist: Es gibt ihn!« sagte Zynaker. »Die Toten mit dem kleinen Loch in der Stirn oder der Brust beweisen es. Wer auch der ›Geist‹ ist, wir werden ihn finden.«
    »Wenn er uns nicht einfach abschießt.«
    »Wir werden so lange in Deckung bleiben, bis wir Kontakt mit ihm aufgenommen haben, bis er aus seinem Versteck herauskommt und wir ihn sehen.«
    »Und wenn er es nicht tut?«
    »Er wird es! Er wird vor Glück aufschreien, daß Weiße und keine Kopfjäger ihn gefunden haben. Es wird eine Befreiung für ihn sein.«
    »Glauben wir daran, bis er auf uns schießt!« sagte Schmitz voller Sarkasmus. »Ich bin erst überzeugt, wenn ich ihm die Hand schüttele.«
    Den Aufstieg bis zum Gipfel des Berges schafften sie in drei Stunden. Hier traf sie voll die Sonne, die Glut legte sich über sie und ihre nassen Kleider. Unter ihnen lag eine unbekannte Tiefe, ein Tal, über dem eine dichte Dunstwolke hing, unbeweglich, wie ein Haufen Watte, den man über eine klaffende Wunde gelegt hat.
    Leonora griff nach Zynakers Hand und hielt sie fest. »Das ist es«, sagte sie leise. »Das ›Tal ohne Sonne‹. Es ist es wirklich. Was liegt unter der Nebeldecke?«
    »Wir werden es bald erfahren.«
    Sie standen auf einer Art Plateau aus Felsgestein, das nicht bewachsen war, ein kahler Fleck in dem üppigen Grün. Hinter ihnen rauschten die Blätterdächer der Riesenbäume im warmen Wind, der über das Hochland strich. Den Berg hinab wuchs der Urwald so dicht, daß es von oben aussah wie eine gewaltige Moosfläche, die den Boden überwucherte. Bis auf den Wind und sein Rauschen in den Zweigen umgab sie Stille.
    »Jetzt machen wir uns bemerkbar«, sagte Zynaker und hob sein Gewehr in den Himmel. »Geht hinter den Bäumen in Deckung! Entweder schießt er sofort, oder er kommt aus seinem Versteck.«
    »Ich bleibe bei dir.« Leonora stellte sich neben Zynaker. »Er wird auf keine Frau zielen.«
    Es hatte keinen Zweck, ihr zu widersprechen, sie würde sich nicht überreden lassen, das wußte Zynaker mittlerweile. Wenn sie einen Entschluß gefaßt hatte, gab es kein Zurück mehr. Argumente waren wirkungslos, vor allem, wenn man ihr sagte, es sei gefährlich. Wenn Zynaker frei wie eine Zielscheibe auf dem kahlen Plateau stand, konnte niemand sie bewegen, nicht neben ihm zu stehen.
    Zynaker blickte über die Felsen und drückte ab. Der Schuß war wirklich wie ein Donner, das Echo warf ihn dreimal zurück. Verständlich, daß die Uma und andere Stämme an einen Geist glaubten und das Tal als Sitz eines bösen Geistes ansahen.
    Sie warteten auf eine Antwort, aber es blieb still. Zynaker sah Leonora erstaunt an. Wenn es ihn gibt, dachte er, dann sieht er uns, muß uns sehen, so frei, wie wir hier oben stehen. Warum zögert er? Er sieht doch, daß wir keine Kopfjäger sind. Er hat doch den Schuß gehört und weiß jetzt, daß Weiße über seinem Tal stehen. Versteckt er sich? Will er gar nicht entdeckt werden? Irgendwo hier in den Felsen muß er hocken und lauern und uns beobachten – wenn es ihn gibt!
    Zynaker schoß zum zweitenmal in die Luft. Das Echo trug den Knall weit über das Tal, das jetzt in der Sonnenglut wirklich zu dampfen schien.
    Wieder Stille.

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