talon006
hatte die Arme um ihren Oberkörper geschlungen und sah nach oben, dorthin wo Talon vor wenigen Augenblicken verschwunden war.
„Brrr, ich weiß nicht!“ Ihre Augen waren von einer ungewohnten Unsicherheit erfüllt. „Manchmal ist er mir unheimlich.“
Janet atmete hörbar auf, als sie ihre Katzenwäsche abgeschlossen hatte und verstaute das Handtuch wieder. Sie warf der Fotografin einen verständnisvollen Blick zu.
„Mhmm“, stimmte sie ihr zu. „Mit normalen Maßstäben lässt er sich wirklich nicht messen.“ Sie zog eine breite Decke aus dem hohen Rucksack und breitete sie auf dem erdigen Boden aus. Alice lief weiterhin nervös auf und ab und hörte nicht auf, nach oben zu starren.
„Wie er den Tod des Löwen kommentierte“, fuhr sie gedankenversunken fort. „Als ob es ihm leid täte.“
Sie konnte das Blitzen in Janets Augen nicht erkennen, die ihre Arbeit unterbrach.
„Wer weiß“, sinnierte die Blondine. „Vielleicht ist er bei Menschen nicht so zimperlich.“
Alice keuchte entsetzt auf. „Das meinen Sie doch nicht im Ernst!“ Sie ging neben Janet in die Hocke und war froh, die Wärme der anderen Frau zu spüren.
„Seien Sie froh, wenn wir es nicht herausfinden.“ Janet Verhooven war nicht weiter gewillt, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Sie war viel zu müde, um sich über die moralischen Grundsätze ihrer Beute Gedanken zu machen. Doch langsam beschlich sie die Gewissheit, dass es viel schwieriger werden würde, Vanderbuildts Forderungen nachzukommen, als sie es selbst jemals für möglich gehalten hätte. Sie dachte, sie müsste nach einem Wilden im Dschungel stochern. Stattdessen wurde sie in eine Welt gerissen, die ihr so fremd, so verborgen war, dass sie ihre Ängste nicht mehr beherrschen konnte.
„Will jemand was zu essen?“, riss sie Eugenes Frage aus ihren Gedanken. Der Belgier hatte sich inzwischen um das Lager gekümmert und es soweit gesichert, dass sich die Nacht wohl unbeschadet überstehen ließ. Er hielt eine leicht zerbeulte Dose verlockend in die Höhe.
„Kalte Ravioli!“, zog er die Aufmerksamkeit der Frauen auf sich. „Und …“, ein Seufzen rang sich von seinen Lippen, „lauwarmes Bier.“
Die beiden Frauen ließen sich dankbar ablenken und machten es sich im abgeblendeten Licht einer der Lampen auf einem umgestürzten, mit Moos überwucherten Baumstamm bequem.
„Ahhh, Sie verwöhnen uns“, nahm Alice die geöffnete Dose entgegen und suchte nach einem Löffel. Keiner von ihnen bemerkte die tiefblauen Augen, die sie aus dem Schatten der Blätter aufmerksam beobachteten. Talon hatte sich aus der Höhe einen besseren Überblick über die kleine Lichtung verschaffen wollen, auf der die Gruppe nun lagerte. Er hatte die Ruhe gesucht, um das Feuer in ihm etwas zu beruhigen, das seit Stunden in ihm loderte.
Die unablässige Gesellschaft von Menschen weißer Hautfarbe war ihm fremd geworden. Dennoch betrachtete er die drei Personen eindringlich, folgte ihrem lockeren Geplauder, mit dem sie ihre Müdigkeit und Unruhe zu überspielen versuchten. Dann, nach nicht mal einer Stunde, zogen sie sich in ihre Schlafsäcke zurück. Eugene Mauris löschte das Licht der Taschenlampe.
Die Dunkelheit hüllte sich wie ein undurchdringlicher Mantel über die Lichtung. Doch Talons geschärfte Sinne erkannten in der Nacht jede Nuance, jede Struktur in den Ästen und Blättern.
Er warf der Gruppe einen kurzen, kontrollierenden Blick zu. Es schien eine ruhige Nacht zu werden. Dennoch verharrte er auf seinem Posten und wachte über die Menschen.
Bereits nach einem kurzen Marsch stieß die Gruppe am folgenden Tag auf ein neues Hindernis.
Steil abfallend schnitten die Wände der Schlucht in die Erde und teilten den Dschungel wie ein Keil. Der Boden des Abgrunds verlor sich im Dunst des frühen Morgens tief unter ihnen. Alice Struuten hatte ihre Kamera hervor geholt und machte unablässig Bilder.
„Meine Güte, ist das gewaltig!“, kommentierte sie den Anblick und verstaute eines der Objektive in einer Seitentasche des Rucksacks, nachdem sie sicher war, kein Motiv verpasst zu haben.
„Ich frage mich nur, wie wir da runter kommen sollen“, stellte Eugene Mauris nüchtern fest, während er am Rand der Schlucht kauerte und kleine Steine nach unten warf. Die Landschaft erschien ihm so unwirklich, als sei sie künstlich angelegt worden und vielmehr Teil einer Anlage als tatsächlich wild gewachsene Natur.
Janet Verhooven ging zu Talon herüber, der unschlüssig in die
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