talon006
schienen. Eine Vielzahl von Rissen und Brüchen zeugten vom Alter der Anlage. Geröll bedeckte die Erde und ließ sie erscheinen wie ein Aschefeld.
Die mächtigen Steinquader waren allesamt kaum verziert. Trotz ihrer einfachen Form waren die klaren Kanten und Winkel immer noch deutlich zu erkennen, mit denen sie ineinander gepasst worden waren.
Eine breite, lange verwitterte Steintreppe führte gut zwanzig Meter in die Höhe und endete in einem breiten offenen Tor, der wie ein Schlund nach innen führte.
Beeindruckt stand Eugene Mauris im Schatten der Bäume und betrachtete sich wie die anderen die Ruinen.
„Völlig bedeckt durch den Dschungel“, sinnierte er. „Aber, was ist das alles? Ein Tempel, eine ganze Stadt?“ Er deutete mit dem Finger auf die ockerfarbenen Schemen, die sich aus dem Unterholz lösten. „Und von überall kommen noch Löwen. Ich hätte nie gedacht, dass es so viele von ihnen noch in Afrika gibt!“
Er zog sich etwas zurück, als die Tiere bedrohlich nahe ihr Versteck passierten. Ungläubig sah er ihnen nach, wie sie die Treppe nach oben verschwanden.
„Sie scheinen uns überhaupt nicht wahrzunehmen. Eigentlich hätten sie uns längst wittern müssen!“
Er hatte von Talon eine Antwort erwartet. Doch dieser konnte seinen Blick nicht von den urwelthaften Steinbauten lösen und trat aus seinem Versteck.
„Weiter“, erklärte er nur kurz.
Janet Verhooven hielt ihn an der Schulter zurück. „ Da wollen Sie rein?“
Talon sah sie mit einem ausdruckslosen Lächeln an.
„Es steht Ihnen frei, hier zu bleiben.“
„Bin ich verrückt?“, entgegnete sie ihm, während sie sich im Geiste von Dutzenden hungriger Löwen umgeben sah. „Los!“
Die kleine Gruppe schlich sich an der linken Außenseite des Hauptgebäudes entlang und vermied so jeden weiteren Kontakt mit den Raubtieren, die alle über die zentrale Treppe im Inneren des Steins verschwanden. An einem schmalen, hohen Seitenfenster blieb Talon stehen und deutete nach oben. Aus dem Gepäck wurde nur das Nötigste mitgenommen, dann kletterte Eugene Mauris als erster nach oben und schob sich über das Fenster, das gut drei Meter über ihnen lag, nach innen.
Talon wartete unten und half zuerst Alice, dann Janet nach oben. Diese warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu, als sie seine kräftigen Hände spürte, die sich um ihre Taille schlossen, um die junge Frau nach oben zu wuchten. Doch Talon ließ durch nichts erkennen, dass er auf den Blick reagierte.
Janet nahm Mauris’ helfende Hand dankend an und zog sich nach innen. Erschrocken zog sie ihre Hand von dem Stein zurück, der unter ihr hell aufleuchtete.
„Dieses Licht –„, entfuhr es ihr keuchend. „Es scheint direkt aus dem Boden zu kommen! Aber woher …?“
Eugene zog nun Talon nach oben, der sich behände in das Gebäude schwand. Das Fenster bildete das Ende eines Ganges, der tief in das Innere führte. Mehrere leise Klickgeräusche durchbrachen die Stille. Alice hatte ihre Kamera herausgeholt und betätigte in einem fort den Auslöser. Sie wollte jede Nuance dieser fremden Architektur einfangen.
Ein harter Schlag landete auf ihrem rechten Unterarm. Schmerzerfüllt schrie sie auf und blickte in Talons wütendes Gesicht.
„Sind sie verrückt?“, herrschte er sie zischend an. „Lassen Sie doch gleich eine Fanfare erschallen, dass wir hier sind!“ Seine Augen funkelten bedrohlich. Ein leises Knurren löste sich von seinen Lippen, dann ließ er die Fotografin stehen, die innerlich vor Angst und Zorn bebte.
Eugene legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter, doch sie schob sie beiseite. Sie ließ sich an das Ende der Gruppe zurückfallen und war darauf bedacht, den Abstand zu Talon so groß wie möglich zu halten.
Janet schloss zu dem großgewachsenen Mann auf, der trotz seiner sicheren Schritte eine wachsende innere Unruhe nicht verleugnen konnte.
„Was für ein Volk war das, Talon?“, flüsterte sie ihm leise zu. Sie wollte ihre eigene Nervosität wieder in den Griff bekommen. „Ich sehe keine Reliefs, Malereien oder Ähnliches. Nichts, was auf Kunst oder Kultur hinweisen würde.“
Sie durchquerten eine lang gestreckte Galerie, deren einzelne Stockwerke sich in dem alles beherrschenden Licht verloren, das die Räume erhellte. Auch hier war die Substanz deutlich angegriffen und zerfiel langsam unter dem Einfluss der Zeit.
„Ich weiß es nicht“, musste Talon Janet nach einer Weile eingestehen. „Ich habe noch nie von diesem Ort gehört.“
Die
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