Tante Julia und der Kunstschreiber
sagen.«
»Wir dachten, der Herr sei ein Dieb«, unterstützte mich Pascual. »Er kommt hier aufgeblasen herein und beleidigt uns auch noch.«
»Unter Kollegen sollte es keinen Streit geben«, sagte Genaro jun. salomonisch. Er hatte sich die Remington auf die Schulter gehoben, und ich bemerkte, daß das Männchen ihm genau bis an die Jackenaufschläge reichte. »War mein Vater nicht hier und hat Sie einander vorgestellt? Gut, dann tue ich es jetzt, und alle sind wieder zufrieden.“
Mit einer raschen und automatischen Bewegung streckte das Männchen sofort eines seiner Ärmchen aus, machte ein paar Schritte auf mich zu, reichte mir ein Kinderhändchen und stellte sich mit seiner wunderschönen Tenorstimme und einer neuerlichen höfischen Verbeugung vor:
»Ein Freund, Pedro Camacho, Bolivianer und Künstler.« Er wiederholte die Geste, die Verbeugung und den Satz bei Pascual, der ganz offensichtlich einen Moment äußerster Verwirrung durchlebte und nicht wußte, ob das Männchen sich über uns lustig machte oder sich immer so verhielt. Pedro Camacho wandte sich, nachdem er uns zeremoniell die Hände geschüttelt hatte, an den Nachrichtendienst im ganzen. In der Mitte unseres Verschlages stehend, im Schatten von Genaro jun., der hinter ihm wie ein Riese wirkte und ihn sehr ernst beobachtete, hob der Kleine die Oberlippe und zerknitterte sein Gesicht in einer Bewegung, die einige gelbe Zähne freilegte, zu einer Karikatur oder dem Schreckbild eines Lächelns. Er ließ sich ein paar Sekunden Zeit, bevor er uns mit klangvollen Worten dankte, die er mit der Handbewegung eines sich verabschiedenden Taschenspielers begleitete:
»Ich bin Ihnen nicht böse; ich bin das Unverständnis der Menschen gewöhnt. Bis auf weiteres, meine Herren!« Er verschwand durch die Tür unseres Verschlages, und mit ein paar Elfensprüngen folgte er dem fortschrittlichen Unternehmer, der sich, die Remington auf der Schulter, mit großen Schritten zum Fahrstuhl entfernte.
II
Es war einer jener sonnigen Frühlingsmorgen in Lima, an denen die Geranien blühender, die Rosen duftender und die Bougainvilleas kräftiger erwacht waren, als ein berühmter Arzt der Stadt, Doktor Alberto de Quinteros – breite Stirn, Adlernase, durchdringender Blick, von Güte und aufrechter Gesinnung –, die Augen öffnete und sich in seiner geräumigen Villa in San Isidro reckte. Er sah durch die Gardinen die Sonne, die den Rasen des von Kroton hecken umschlossenen Gartens vergoldete, sah die Reinheit des Himmels, die Freude der Blumen und spürte jenes Behagen, das acht Stunden erholsamen Schlafes und ein ruhiges Gewissen bereiten.
Es war Samstag, und wenn nicht im letzten Augenblick noch eine Komplikation bei der Frau mit den Drillingen eintrat, brauchte er nicht in die Klinik zu gehen, konnte am Vormittag etwas Sport treiben und vor der Trauung von Elianita noch in die Sauna gehen. Seine Frau und seine Tochter waren in Europa, wo sie etwas für ihre Bildung taten und ihre Garderobe erneuerten. Sie würden nicht vor Ablauf eines Monats zurück sein. Jeder andere mit seinem Wohlstand und seinem Aussehen – seine schneeweißen Schläfen, sein distinguiertes Auftreten und die Eleganz seines Benehmens weckten sehnsüchtige Blicke selbst bei unkorrumpierbaren Damen –, jeder andere hätte sein augenblickliches Strohwitwerdasein dazu benutzt, sich eine schöne Zeit zu machen. Aber Alberto de Quinteros war ein Mann, den weder das Spiel noch die Schürzen noch der Alkohol mehr als notwendig anzogen, und unter seinen Bekannten – und das waren viele – kursierte folgende Sentenz: »Seine Laster sind die Wissenschaft, seine Familie und der Sport.« Er bestellte das Frühstück, und während es zubereitet wurde, rief er in der Klinik an. Der diensthabende Arzt berichtete ihm, daß die Frau mit den Drillingen eine ruhige Nacht gehabt habe und daß die Blutungen der Frau, der er die Fasergeschwulst operiert hatte, zurückgegangen seien. Er gab seine Anweisungen und sagte, man könne ihn, wenn etwas Ernstes vorläge, im Sportclub Remigius anrufen oder mittags bei seinem Bruder Roberto, am Abend komme er selbst noch einmal vorbei. Als sein Majordomus ihm den Papayasaft, den schwarzen Kaffee und den Honigtoast brachte, war Alberto de Quinteros rasiert und trug eine graue Cordhose, flache Mokassins und einen grünen Rollkragenpullover. Er frühstückte und überflog dabei flüchtig die morgendlichen Katastrophenmeldungen und den Klatsch in den Zeitungen, nahm
Weitere Kostenlose Bücher