Tante Julia und der Kunstschreiber
meinte Genaro jun. und deutete durch die Scheiben des Studios auf sie, die wie in einem großen Aquarium um das Mikrofon gruppiert standen, die Texte in der Hand, bereit, mit dem Kapitel vier-undzwanzig der »Familie Alvear« zu beginnen. Und wirklich, wie enttäuscht wären die Hausfrauen gewesen, die beim Klang von Luciano Pandos Stimme dahin schmolzen, wenn sie seinen buckligen Körper und seinen schielenden Blick hätten sehen können; und wie ernüchtert wären all die Rentner gewesen, in denen die wohl klingen den Laute von Josefina Sanchez Erinnerungen weckten, hätten sie von ihrem Doppelkinn, ihrem Schnurrbart, ihren abstehenden Ohren und ihren Krampfadern gewußt. Aber die Einführung des Fernsehens in Peru lag noch in ferner Zukunft, und der diskrete Broterwerb der Hörspielfauna schien für den Augenblick noch nicht gefährdet. Mich hatte schon immer interessiert, aus welchen Federn die Fortsetzungsserien flössen, die die Nachmittage meiner Großmutter füllten, jene Geschichten, von denen ich bei meiner Tante Laura, meiner Tante Olga, meiner Tante Gaby oder bei meinen zahlreichen Cousinen hörte, wenn ich sie besuchte. (Unsere Familie war biblisch, miraflori nisch und unzertrennlich). Ich vermutete, daß die Hörspiele aus dem Ausland kamen, war jedoch überrascht, als ich hörte, daß die Genaros sie nicht in Mexiko oder Argentinien, sondern in Kuba einkauften. Die Serien wurden vom CMQ produziert, einem Radio- und Fernseh imperium, das von Goar Mestre regiert wurde, einem silberhaarigen Herrn, den ich einmal, als er in Lima war, über die Flure von Radio Panamericana gehen sah, eskortiert von den Besitzern und zahlreichen ehrfürchtigen Blicken. Ich hatte Sprecher, Entertainer und Radiomode ratoren so viel über CMQ aus Kuba reden hören – es war für sie etwas so Mythisches wie das Hollywood jener Zeit für die Cineasten –, daß Javier und ich manchmal beim Kaffee im Bransa über jenes Heer von Vielschreibern phantasiert hatten, die dort im fernen Havanna der Palmen, der paradiesischen Strande, der Revolverhelden und Touristen in den klimatisierten Büros der Zitadelle von Goar Mestre acht Stunden pro Tag auf leisen Schreibmaschinen jenen Strom von Ehebruch, Selbstmord, Leidenschaften, Begegnungen, Erbschaften, Verehrungen, Zufällen und Verbrechen produzieren mußten, der sich von der Antilleninsel über ganz Lateinamerika ergoß und in den Stimmen von Luciano Pando und Josefina Sânchez die Nachmittage der Großmütter, Tanten, Cousinen und Rentner jedes Landes verzauberte.
Genaro jun. kaufte (oder besser CMQ verkaufte) die Hörspiele nach Gewicht und per Telegramm. Das hatte er mir selbst eines Tages erzählt, als ich ihn zu seiner größten Verblüffung gefragt hatte, ob er, seine Brüder oder sein Vater die Texte prüften, bevor sie gesendet wurden. »Könntest du siebzig Kilo Papier lesen?« erwiderte er und sah mich mit jener wohlwollenden Herablassung an, die meinem Status als Intellektueller galt, den er mir zugestand, seit er einmal eine Erzählung von mir in der Sonntagsausgabe von »El Comercio« gesehen hatte. »Überleg doch mal, wieviel Zeit man dazu brauchte. Einen Monat, zwei? Wer sollte Monate darauf verwenden, ein Hörspiel zu lesen? Wir kaufen auf gut Glück, und bis jetzt hat uns der Herr der Wunder glücklicherweise beschützt.« In den günstigsten Fällen stellte Genaro jun. über eine Werbeagentur oder über Kollegen und Freunde fest, wieviele Länder ein Hörspiel, das ihm angeboten wurde, gekauft hatten und wie hoch die Einschaltquoten waren; in den ungünstigsten Fällen entschied er nach dem Titel oder ganz einfach nach Kopf oder Adler. Die Hörspielserien wurden nach Gewicht verkauft, weil dies weniger riskant war als nach angegebener Seiten- oder Wörterzahl. Das Gewicht war das einzig Nachprüfbare. »Ist ja klar«, sagte Javier, »wenn man keine Zeit hat, sie zu lesen, hat man noch weniger Zeit, die Wörter zu zählen.« Ihn erregte der Gedanke an einen Roman von achtundsechzig Kilo und dreißig Gramm, dessen Preis wie der einer Kuh, von Butter oder von Eiern mit einer Waage bestimmt wurde.
Aber diese Methode bescherte den Genaros auch Schwierigkeiten. Die Texte waren voller kubanischer Redewendungen, die Luciano, Josefina und ihre Kollegen kurz vor der Aufnahme so gut sie konnten (immer schlecht) ins Peruanische übertragen mußten. Außerdem wurden die Schreibmaschinenmanuskripte gelegentlich auf der Reise von Havanna nach Lima in den Bäuchen der Schiffe oder
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