Tante Lisbeth (German Edition)
gegenüber doch große Verpflichtungen haben, wenn er dir ein Werk schenkt, an dem er sechs Monate lang gearbeitet hat?« fragte Hortense, die das Petschaft sehr nachdenklich gestimmt hatte.
»Du willst aber auch gar zu viel auf einmal wissen«, wehrte Tante Lisbeth ab. »Paß mal auf! Ich will dich in eine Verschwörung einweihen.«
»Handelt es sich um deinen Verehrer?«
»Du möchtest ihn sehen! Aber du wirst doch billigen, daß eine alte Jungfer wie eure Tante Lisbeth, die ihren Liebsten viele Jahre lang so fein verheimlicht hat, ihn nun nicht gleich zeigt. Laß mich damit also in Frieden! Siehst du, ich habe keinen Kater, keinen Kanarienvogel, keinen Hund, auch keinen Papagei; aber etwas fürs Herz muß doch auch eine alte Wildkatze wie ich haben, und darum halte ich mir einen Polen.«
»Hat er einen Schnurrbart?«
»So lang!« machte Lisbeth, indem sie ein langes Stück Goldfaden von der Rolle abwickelte.
Sie brachte sich stets Arbeit mit und beschäftigte sich damit, bis man zu Tisch ging.
»Wenn du immer nur fragst, erfährst du gar nichts mehr!« fuhr sie fort. »Du bist erst zweiundzwanzig Jahre alt und dabei geschwätziger als ich mit meinen zweiundvierzig oder vielmehr dreiundvierzig.«
»Ich will mucksmäuschenstill zuhören!«
»Mein Verehrer hat eine zehn Zoll hohe Bronzegruppe gemacht«, begann Tante Lisbeth. »Simson, wie er einen Löwen erwürgt. Er hat sie eingegraben, damit sie Rost ansetzt. Sie soll so antik aussehen wie Simson selber. Dies Meisterwerk ist nun bei einem Raritätenhändler ausgestellt, der seinen Laden auf der Place du Carrousel hat, nahe meinem Hause. Dein Vater, der mit Popinot, dem Minister des Handels und der Landwirtschaft, und mit dem Grafen Rastignac bekannt ist, sollte die beiden gelegentlich auf die Gruppe aufmerksam machen: sie sei ein schönes antikes Werk, das er zufällig im Vorbeigehen gesehen habe. Die großen Herren von heute scheinen mehr Interesse für solche Artikel zu haben als für unsere schönen Goldstickereien. Mein Schatz könnte sein Glück machen, wenn einer dies alte Kupferding kaufen oder auch nur mal ansehen möchte. Der arme Kerl meint, man könne das Zeug für wirklich alt halten und teuer bezahlen. Wenn einer der Minister die Gruppe kaufte, würde er sich ihm dann vorstellen und ihm beweisen, daß er sie gemacht hat. Dann wird er angestaunt werden. Ja, er bildet sich wahrhaftig ein, er sei schon auf dem Gipfel seines Künstlertums. Das Kerlchen ist eingebildet wie ein neubackener Kommerzienrat.«
»Also ein neuer Michelangelo! Für einen Verliebten hat er seine sieben Gedanken noch ganz leidlich beisammen«, meinte Hortense. »Und wieviel verlangt er dafür?«
»Fünfzehnhundert Francs! Der Händler soll die Bronze nicht billiger hergeben.«
»Augenblicklich ist Papa Beauftragter von Majestät«, sagte Hortense. »Er trifft die beiden Minister täglich in der Kammer. Er muß sich der Sache annehmen. Laß mich es nur machen! Sie werden reich sein, Frau Gräfin Steinbock!«
»Nein, dazu ist mein Mann zu gemächlich. Wochenlang tut er nichts als rotes Wachs kneten – und nichts wird fertig. Was sag ich? Ganze Tage verträumt er im Louvre und in der Bibliothek, wo er alte Stiche anguckt und abzeichnet. Er ist ein Tagedieb.«
Die beiden fuhren fort zu scherzen. Hortense lachte aber nicht mehr natürlich, denn sie stand mit einem Male im Banne einer Liebe, wie sie alle jungen Mädchen einmal erleben: der Liebe zu dem Unbekannten, einer vagen Liebe, bei der sich die Gedanken um eine vom Zufall heraufbeschworene Gestalt kristallisieren wie die Blumen des Rauhreifs um den Halm, den der Wind zufällig an ein Fenster gedrückt hat. Seit zehn Monaten ahnte sie etwas vom Vorhandensein dieses phantastischen Liebhabers der Tante Lisbeth, an deren ewige Ehelosigkeit sie ebenso fest wie ihre Mutter glaubte, und vor acht Tagen hatte sich ihnen diese imaginäre Gestalt zu einem Grafen Stanislaus Steinbock verkörpert. Der Traum war damit zur Wirklichkeit geworden, und der nebelhafte Schatten hatte die leibhafte Gestalt eines jungen dreißigjährigen Mannes angenommen. Das Petschaft, das Hortense in der Hand hielt, wirkte zauberkräftig wie eine Verkündigung, in der sich ihr ein Genie offenbarte, wie ein Talisman. Hortense fühlte sich so glücklich, daß sie beinahe an der Wahrheit dieses wunderschönen Märchens zweifeln mochte. Ihr Blut fieberte; sie lachte wie närrisch.
»Die Tür zum Salon ist offen, wie mir scheint«, bemerkte Tante Lisbeth.
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