Tante Lisbeth (German Edition)
Adeline?« fragte er, indem er sie um die Taille faßte und fest an sich drückte. »Weißt du nicht, daß ich dich mehr liebe als ...?«
»Mehr als Jenny Cadine und Josepha?« unterbrach sie ihn mutig.
»Wer hat dir denn das gesagt?« fragte der Baron, indem er seine Frau losließ und unwillkürlich einige Schritte zurückprallte.
»Ich habe einen anonymen Brief bekommen, den ich verbrannt habe. Darin stand, daß Hortenses Heirat an der Lage, in der wir uns befänden, gescheitert sei. Mein lieber Hektor, als deine Frau hätte ich nie etwas gesagt. Ich kannte dein Verhältnis mit Jenny Cadine. Habe ich mich je darüber beklagt? Aber als Hortenses Mutter bin ich dir Offenheit schuldig.«
Nach einem Augenblick des peinlichsten Schweigens, während dem man die Herzen schlagen hören konnte, breitete Hulot die Arme aus, drückte seine Frau an sich, küßte sie auf die Stirn und sagte mit der ganzen Übertreibung momentaner Begeisterung: »Adeline, du bist ein Engel, und ich bin ein schlechter Mensch!«
»Nein, nein!« rief die Baronin und legte ihm rasch die Hand auf den Mund, um zu hindern, schlecht von sich selbst zu sprechen.
»Na ja. In diesem Augenblick könnte ich Hortense keinen Pfennig mitgeben. Ich bin sehr unglücklich. Aber da du mir dein Herz geöffnet hast, kann ich dir auch die Sorgen beichten, die mich fast erdrücken. Daß dein Onkel Fischer in Geldverlegenheiten ist, das ist auch meine Schuld; er hat mir nämlich eine Wechselbürgschaft von fünfundzwanzigtausend Francs geleistet! Eines Weibes wegen, das mich betrügt, das in meiner Abwesenheit über mich lacht, mich einen angestrichenen alten Kater nennt! – Ach, es ist entsetzlich, daß es mehr Geld kostet, einem Laster zu frönen als eine Familie zu ernähren! Und doch kann man nicht widerstehen. Ich könnte dir in diesem Augenblick versprechen, niemals wieder zu dieser abscheulichen Jüdin zurückzukehren; aber wenn sie mir nur zwei Zeilen schreibt, so eile ich doch wieder hin, wie man unter dem Kaiser ins Gefecht ging.«
»Quäle dich nicht, Hektor!« sagte die arme verzweifelte Frau und vergaß ihre Tochter über den Tränen in ihres Mannes Augen. »Siehst du, ich habe noch meine Brillanten. Rette damit vor allem meinen Onkel!«
»Deine Brillanten sind heute kaum zwanzigtausend Francs wert. Das würde Vater Fischer gar nichts nützen. Behalte sie darum für Hortense! Morgen rede ich mit dem Marschall!«
»Armer Freund!« rief die Baronin, ergriff ihres Mannes Hände und küßte sie.
Das war die ganze Auseinandersetzung! Adeline bot ihm ihre Brillanten an, und er schenkte sie Hortense. Dieser Verzicht schien ihr erhaben, und nun war sie ganz widerstandslos.
Er ist der Herr. Er könnte mir alles nehmen. Aber er läßt mir meine Brillanten. Er ist ein Gott! So dachte diese Frau, die sicherlich mit ihrer Sanftmut mehr erreicht hatte als eine andere durch Zorn und Eifersucht.
Der Menschenkenner weiß, daß wohlerzogene, aber lasterhafte Menschen gewöhnlich viel liebenswürdiger sind als Tugendbolde. Da sie immer ein schlechtes Gewissen haben, so nehmen sie gleichsam einen Vorschuß auf die Nachsicht der andern; sie sind gegen die Fehler ihrer Richter duldsam, und so gelten sie für prächtige Menschen. Natürlich gibt es auch unter den Tugendsamen reizende Leute; aber meist dünkt sich die Tugend an sich schon vollkommen genug und spart sich jeden Aufwand von Liebenswürdigkeit. Übrigens sind alle tugendhaften Leute – von den Heuchlern spreche ich hier nicht – ein wenig argwöhnisch; sie kommen sich auf dem großen Markte des Lebens gleichsam übervorteilt vor und machen gern spitze Bemerkungen nach der Art der unverstandenen Seelen.
Der Baron, der sich den Ruin seiner Familie vorzuwerfen hatte, nahm seine Zuflucht zu all den reichen Hilfsquellen seines Geistes und seiner verführerischen Urbanität gegenüber seiner Frau, den Kindern und der Tante Lisbeth. Als er seinen Sohn und Cölestine mit dem kleinen Hulot kommen sah, überschüttete er seine Schwiegertochter mit den artigsten Schmeicheleien. Daran war die eitle Cölestine nicht sonderlich gewöhnt; sie war zwar ein reiches, aber höchst unbedeutendes Wesen von recht alltäglichem Aussehen. Der Großvater nahm den kleinen Kerl, küßte ihn und fand ihn süß und entzückend. Er unterhielt sich mit ihm in der Kleinkindersprache und weissagte, daß diese Krabbe einmal größer sein Großvater werden würde; auch seinem Sohne sagte er ein paar angenehme Worte und gab dann das Kind
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