Tanz der Dämonen
verstummte dann und überlegte. Ihre Hand wanderte forschend über meinen Körper, berührte erneut den Hosenlatz und dann meine Brust.
»Das ist eine Sache«, flüsterte sie. Und nach einer Weile: »Nicht, dass wir nicht auch so unseren Spaß haben könnten. Du würdest dich wundern. Aber eigentlich ist mir jetzt eher danach, mit dir zu reden … Schwester.« Dann: »Weißt du, ich glaube es nicht. Nicht, wenn ich richtig darüber nachdenke.«
»Was glaubst du nicht?«
»Dass der Alte es nicht weiß. Euer … Meister. Der den Kaufmann ausgenommen hat. Ich glaube, er weiß es. Er sieht dich so seltsam an. Will er was von dir? Du weißt schon …«
»Unsinn. Was du denkst! Er könnte mein Großvater sein! Und ich sage dir, er hält mich für einen Jungen.«
Sie räusperte sich, als wollte sie sagen: Alles schon da gewesen. Aber sie schwieg. Wahrscheinlich hielt sie mich für ein ahnungsloses Entchen.
»Er ist euer Anführer«, sagte sie nach einer Weile. »Wie heißt er?«
»Er heißt Ahasver.«
»Ach.«
»Aber so heißt er nicht wirklich. Wie sein richtiger Name ist, hm,das weiß ich gar nicht. Wir nennen ihn so. Alle nennen ihn so. Der Name kommt aus einem Theaterstück, mit dem er viel Erfolg hatte. Früher.«
»Ihr seid seltsame Vögel«, sagte sie. »Galgenvögel.« Und kicherte. »Wieso gehst du eigentlich mit ihm? Hat er dich gekauft – oder vielleicht gestohlen?«
»Wie kannst du so etwas nur denken! Unsinn! Er hat mich auf die Reise mitgenommen. Zuerst allerdings … wollte ich es gar nicht. Ich wäre lieber daheim geblieben.«
»Erzähl.«
Ich zögerte. »Ich bin Waise«, sagte ich schließlich. »Oder nein, eigentlich nicht …«
»Du machst es aber spannend.«
»Meine Mutter ist tot. Seit ein paar Jahren.« Dieser Wirbel in meinem Kopf! »Danach hat sich der Pfarrer in unserem Dorf um mich gekümmert. Vater Sebastian.« Schritt für Schritt erzählte ich ihr, was sie wissen wollte: wie er sich um mich gekümmert hatte und mir Dinge beigebracht hatte, die ein Mädchen normalerweise niemals lernen würde. Zum Beispiel Latein. Ich sah wieder das gebeugte Haupt und die buschigen Brauen im Kerzenschein und glaubte, das leise Rascheln des Pergaments zu hören, wenn er die Buchseiten umblätterte. Wie viele Bücher er besaß! Und wie viele davon ich kennen gelernt habe! Abends, wenn ich zu Bett ging, segnete er mich und gab mir einen Kuss auf den Scheitel. Plötzlich hätte ich heulen mögen. Aber das musste ich abschütteln. Wenn ich meinen Gefühlen nachgab, wenn ich mich fallen ließ, woher sollte ich dann den Mut nehmen, meinen Weg weiterzugehen?
»Er ist alt geworden«, sagte ich. »Ich glaube, es wurde ihm zu viel. Er brauchte Ruhe, glaube ich. Da hat er gesagt … Also er meinte eben, ich solle mit Ahasver gehen.« Ich hatte seine Scheu gespürt, mit einem Mädchen zusammenzuleben, das kein Kind mehr war. Furcht – vielleicht vor sich selbst … Aber das verschwieg ich. Denn unter dem Nebel der Berauschtheit regte sich eine Stimme inmeinem Innern: Sie fragt dich aus – nach allen Regeln der Kunst, warnte sie. Es ist jetzt genug. Es ist nicht gut, mit Fremden zu viel zu reden. Schärft Ahasver uns das nicht immer wieder ein?
»Nicht gerade ein gutes Vorbild«, sagte sie. »Dieser Asaver.«
»Ahasver«, berichtigte ich.
»Warum hat er dich gerade mit dem gehen lassen?«
Ich wollte nicht, dass sie Vater Sebastian für unklug hielt, aber was sollte ich sagen? »Er hatte sich an ihn herangemacht. An Vater Sebastian. Er kam eines Tages in unser Dorf …«
»Wo war das?«
»Ziemlich weit weg von hier.«
Sie gab sich damit zufrieden.
»Und weiter?«
»Er redet zu den Leuten von Sünde und Buße. Er hat den guten Pater sehr beeindruckt. Hat ihm weisgemacht, er sei erfüllt vom Wort Gottes. Ach, du weißt schon, was das für Sprüche sind. Man musste ihn einfach für einen guten Menschen halten.« Seltsam war das gewesen. So hatte ich Ahasver nie wieder auftreten sehen. Er war weiß Gott kein Heiliger! Nicht einmal wirklich fromm …
»Vater Sebastian«, sagte ich, »… nun, er kann manchmal recht leichtgläubig sein, so klug er andererseits sein mag. Er ist alt. Hoffentlich geht es ihm gut.«
Du redest zu viel, dachte ich. Und wenn du etwas verbessern willst, machst du es nur schlimmer. Halte lieber deinen Mund. Und vor allem: Weshalb du wirklich unterwegs bist, geht keinen Fremden was an.
Nach meinem Vater fragte sie nicht. Ich war froh. Was hätte ich sagen sollen? Die Wahrheit?
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