Tanz der Liebenden
Ballettstangen würden mit Spiegeln verkleidet werden. Die professionelle Eitelkeit war unerlässlich, so wie das richtige Atmen. Ein Tänzer musste sich zu jeder Zeit sehen können – jede kleine Bewegung, jedes Beugen, jede Drehung. Nur so erreichte man Perfektion.
Eigentlich sind es eher Fenster als Spiegel, dachte Kate. Der Tänzer sieht dem Tanz zu, wie durch eine Glasscheibe.
Die alte Decke musste repariert oder ersetzt werden, je nachdem, was erforderlich war. Und das alte Heizungssystem … Sie rieb sich fröstelnd die Arme. Da musste auf jeden Fall ein neues her. Die Böden würden abgeschliffen und neu versiegelt werden, bis sie glatt und schimmernd den perfekten Untergrund böten. Blieben noch Elektro- und Sanitärinstallationen.
Ihr Großvater hatte als Tischler gearbeitet, bis er sich zur Ruhe gesetzt hatte. Na ja, fast zur Ruhe gesetzt, dachte sie liebevoll. Er würde die kleineren Arbeiten wohl nie aufgeben können. Aber sie würde ihn fragen, sich informieren, bis sie alles verstand und der Firma, die sie beauftragen würde, genau erklären konnte, was sie sich vorstellte.
Sie schloss die Augen. Sie konnte alles ganz genau vor sich sehen. Ihr hoch gewachsener, gertenschlanker Körper sank fließend in ein tiefes plié, bis sie auf den Fersen zu sitzen kam. Sie richtete sich auf, sank wieder hinunter.
Sie hatte ihr Haar heute Morgen nur ungeduldig hochgesteckt, um schnell aus dem Haus zu kommen und sich das anzusehen, was bald das Ihre sein würde. Durch die Bewegung lockerten sich die Haarnadeln, ein paar Strähnen des seidigen schwarzen Haares lösten sich und fielen ihr bis auf die Hüften – ein wildromantisches Bild, das ihrem Image auf der Bühne gerecht wurde.
Ein verträumtes Lächeln zauberte einen warmen Schimmer auf ihr Gesicht. Die dunkle Haut und die hohen Wangenknochen hatte sie von ihrer Mutter geerbt, von ihrem Vater die grauen Augen und das energische Kinn.
Eine sehr interessante Kombination, sehr romantisch. Die Zigeunerin, die Meerjungfrau, die Elfenkönigin. Es hatte Männer gegeben, die nur auf ihr Äußeres geachtet hatten und sie für romantisch und zerbrechlich hielten. Mit der Stärke, die sich darunter verbarg, hatten sie nicht gerechnet.
Was ein Fehler war. Ein kapitaler Fehler.
„Irgendwann einmal wirst du aus dieser Stellung nicht mehr hochkommen, und dann wirst du deine restlichen Tage als herumhüpfender Frosch fristen müssen.“
Kate riss die Augen auf und sprang hoch. „Brandon!“ Sie rannte durch den Raum und warf sich ihrem Bruder mit einem Aufschrei in die Arme. „Was machst du hier? Wann bist du angekommen? Ich dachte, du wärst in Puerto Rico, um Baseball zu spielen? Wie lange bleibst du?“
Er war kaum zwei Jahre älter als sie. Früher, als sie noch Kinder gewesen waren, hatte er seinen Geburtsvorteil immer ausgenutzt und sie gequält. Nicht wie ihre gemeinsame Halbschwester Frederica, die älter war als sie beide. Sie hatte ihr Alter nie wie eine Keule über den Häuptern der jüngeren Geschwister geschwungen. Trotzdem – Kate liebte Brandon mit jeder Faser ihres Seins.
„Welche von den Fragen soll ich zuerst beantworten?“ Lachend hielt er sie ein Stückchen von sich ab, um sie mit dunklen, amüsiert funkelnden Augen zu betrachten. „Immer noch dünn wie ein Strohhalm.“
„Und in deinem Kopf gibt es immer noch nichts anderes als Stroh. Hi.“ Sie drückte einen herzhaften Kuss auf seine Lippen. „Mom und Dad haben nichts davon gesagt, dass du kommst.“
„Sie wussten es nicht. Ich habe gehört, dass du dich hier niederlassen willst. Da dachte ich mir, ich sollte besser mal nachsehen, damit du keinen Unsinn machst.“ Er sah sich in dem heruntergekommenen Raum um und rollte mit den Augen. „Mir scheint, ich bin zu spät gekommen.“
„Es wird wunderbar werden.“
„Vielleicht. Aber im Moment ist es eine Bruchbude.“ Er legte den Arm um ihre Schultern. „So, die Königin des Balletts wird also Lehrerin.“
„Ich werde eine gute Lehrerin sein. Wieso bist du nicht in Puerto Rico?“
„Bin ausgerutscht. Sehnenzerrung.“
„Oh Gott! Wie schlimm ist es? Warst du beim Arzt? Musst du …“
„Liebe Güte, Katie! So schlimm ist es auch wieder nicht. Ich muss zwei Monate aussetzen und mich schonen. Wenn die Frühjahrssaison beginnt, bin ich wieder dabei. Außerdem habe ich so ausreichend Zeit, hier herumzuhängen und dir das Leben zur Hölle zu machen.“
„Das ist wenigstens etwas. Komm, ich zeig dir alles.“ Dann konnte sie
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