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Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition)

Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition)

Titel: Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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Abschied
     
    D ie Besatzung der Peru kam am frühen Morgen mit rotgesprenkelten Gesichtern an Bord. Bei einem großen, gebückt gehenden Mann, der einen tief in die Stirn gedrückten Bowlerhut trug, sammelte sich Schweiß in den schweren Augenbrauen, von dort aus lief er weiter über die Wangen, bis er sich schließlich in den einen Tag alten Bartstoppeln verfing. Die Seeleute trugen Seesäcke über den Schultern; sie gingen in die Knie und schwankten, als einer nach dem anderen an Deck sprang. Als müssten sie sich an ein unruhig schaukelndes Schiff erst gewöhnen. Doch die Peru lag noch immer vertäut am Kai. Es würden einige Stunden vergehen, bevor der Bugsierdampfer auftauchte und sie auf Reede schleppte. Es war die nächtliche Sauftour, die den Männern in den Knochen steckte.
    Von Nyhavn aus hatte man sie auf die gegenüberliegende Seite der Hafeneinfahrt übergesetzt, und bei dem einen oder anderen lugte noch der Hals einer Bierfasche aus den tiefen Taschen der Moleskinhosen. Ihre Seetauglichkeit hatten sie sich beim Arzt bereits bescheinigen lassen. Auf der Reede erwartete sie ein weiterer Arztbesuch, bevor die Peru Kurs nach Norden nahm. Der Arzt sollte die Besatzung nun auf ansteckende Krankheiten untersuchen, die sie möglicherweise auf die Reise mitnahmen.
    Wenn die Männer das nächste Mal ihre Füße an Land setzten, würde dieses mit Eis bedeckt sein und hoch über ihnen würde eine gnadenlose Sonne hängen, die ihnen weder bei Tag noch in der Nacht Ruhe gönnte – als wäre sie an der Himmelswölbung festgenagelt. Sie hatten lange und ausdauernd von der Dunkelheit getrunken, bevor sie das Deck der Peru betraten.
    Der Steuermann war ein kleiner drahtiger Mann, der, mit in den Nacken geschobener Mütze, an der Achterluke stand. Jedes Mal, wenn er eine Flasche erspähte, sprang er mit einem Wutanfall auf den Neuankömmling zu.
    »Du verfuchter Trunkenbold, glaubst du etwa, du hättest in einem Wirtshaus angeheuert?«, brüllte er mit einer Stimme, die aus einem Paar riesiger Lungen zu kommen schien, die nicht recht zur Größe seines Brustkastens passen wollten.
    Sein Gesicht, über dessen Wangen und die vorspringende Nase sich kreuz und quer Narben spannten, verzog sich zu unerwarteten Mustern.
    »Wenn du das nächste Mal auch nur daran denkst, an einer Bierfasche zu nuckeln, setz ich dich auf dem nächsten Eisberg ab.«
    Er riss die Flasche aus der Tasche des Sünders, der den Kopf einzog, als erwartete er einen Schlag, und schleuderte sie mit einer geübten Handbewegung über die Reling. Mit einem Plumps landete die Flasche im dreckigen Hafenwasser, wo sie einen Augenblick vor sich hin dümpelte und dann Kurs auf die Mitte der Hafeneinfahrt nahm.
    An der Landetreppe hakte der Zahlmeister mit lauter Stimme den Proviant ab, der an Bord gebracht wurde. Geräuchertes, gesalzenes und gekochtes Fleisch, Butter, Stockfisch, Grieß, Schiffszwieback und Dosenbrot, Roggen- und Weizenmehl. Als der Kaffee kam, rief er zwei Sorten aus, brasilianischen und javanischen. Mit einer Spur Bosheit in der Stimme fügte er hinzu, der zweite wäre der Kajütenkaffee, was den Eingeweihten signalisierte, dass der javanische den Offizieren und Passagieren vorbehalten blieb. Dann setzte er seine Aufzählung fort: Tee, Dörrpfaumen, Rosinen und Weinessig, rohe und getrocknete Kartoffeln, Suppenkräuter und Zwiebeln, Weißkohl in rohem und gekochtem Zustand, getrocknete Erbsen und Bohnen, Salz, Reisgrütze, Sago, Melis und Puderzucker.
    Der Zahlmeister machte eine Pause, als beabsichtigte er, sich erneut zu einer Unannehmlichkeit zu äußern. Doch diesmal war es der Steuermann, den er herauszufordern gedachte, ja, vielleicht versuchte er geradezu, dessen Autorität zu untergraben. Mit lauter Stimme verkündete der Zahlmeister, dass sich unter dem an Bord gebrachten Proviant auch einhundertzwanzig Liter Branntwein und zehn Tonnen Schiffsbier befänden. Die Männer richteten sich auf, als hätten man ihnen Satisfaktion erteilt.
    »Ihr glaubt doch wohl nicht«, schrie der Steuermann, als er den Blick der Mannschaft bemerkte, »dass dieser Branntwein für euch ist, ihr Hunde!«
    Er riss sich die Mütze vom Kopf und warf sie vor sich auf die Luke, dann begann er, darauf herumzutrampeln, als wäre das in diesem Moment ein Ersatz für eine Schlägerei mit der gesamten Besatzung.
     
    Am Bug des Schiffes stand eine einsame Gestalt mit dem Rücken zu dem Tumult. Carl Rasmussen war nicht viel größer als der Steuermann, aber er schien

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