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Tanz der seligen Geister (German Edition)

Tanz der seligen Geister (German Edition)

Titel: Tanz der seligen Geister (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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zwei oder drei Mal dasselbe Profil; ich bemerke einen anderen Jungen mit sehr großem Kopf und hellen, kurz geschorenen Haaren, fein wie die eines Säuglings; andere Kinder haben regelmäßige und unauffällige Gesichtszüge, die aber eine kleinkindhafte Offenheit und Ruhe aufweisen. Die Jungen stecken in weißen Hemden und kurzen grauen Hosen, und die Mädchen tragen Kleider aus graugrüner Baumwolle mit roten Knöpfen und roter Schärpe.
    »Manchmal sind solche ganz musikalisch«, sagt Mrs. Clegg.
    »Wer sind die?«, flüstert meine Mutter, wobei ihr sicherlich nicht bewusst ist, wie entsetzt sie sich anhört.
    »Die sind aus der Klasse, die sie draußen in der Greenhill School hat. Liebe kleine Dinger, und manche davon sind ganz musikalisch, aber natürlich haben sie einen Dachschaden.«
    Meine Mutter nickt zerstreut; sie schaut sich im Zimmer um und begegnet den überrumpelten, alarmierten Blicken der anderen Frauen, aber es kommt zu keiner Entscheidung. Da ist nichts zu machen. Diese Kinder werden vorspielen. Sie spielen nicht schlechter – nicht wesentlich schlechter – als wir, aber es scheint sehr lange zu dauern, und außerdem weiß man nicht, wo man hinschauen soll. Denn es ist doch sicherlich ein Gebot der Höflichkeit, solche Kinder nicht anzustarren, aber wo kann man denn hinschauen, wenn jemand etwas auf dem Klavier vorspielt, außer zu dem, der spielt? Im Zimmer macht sich die Atmosphäre eines unentrinnbaren Albtraumes breit. Meine Mutter und die anderen sagen fast hörbar zu sich selbst: Ja, ich weiß, es ist nicht richtig, solche Kinder abstoßend zu finden, und das tue ich ja auch nicht, aber niemand hat mir gesagt, dass ich herkomme, um mir anzuhören, wie sie Klavier spielen, diese – diese Schwachsinnigen, denn das sind sie doch  – was ist das nur für ein fest ? Der Applaus jedoch hat zugenommen, wird rege, möchte es hinter sich bringen. Aber das Programm will nicht enden.
    Miss Marsalles nennt den Namen jedes Kindes, als sei er ein Grund zum Feiern. Jetzt sagt sie: »Dolores Boyle!« Ein Mädchen, so groß wie ich, ein langbeiniges, knochiges und schwermütig aussehendes Mädchen mit weißblonden Haaren streckt sich und steht vom Fußboden auf. Sie setzt sich auf die Bank, rückt hin und her, streift die langen Haare hinter die Ohren und fängt an zu spielen.
    Wir sind es gewohnt, auf den Festen von Miss Marsalles Vorgetragenes hinzunehmen, aber man kann nicht sagen, dass irgendjemand je Musik erwartet hat. Doch diesmal erklingt Musik, verschafft sich so mühelos, mit so geringem Ersuchen um Aufmerksamkeit Geltung, dass wir nicht einmal überrascht sind. Was sie spielt, ist mir unbekannt. Es ist etwas Zartes, Höfisches und Heiteres, und es herrscht darin die Freiheit eines großen, leidenschaftslosen Glückes. Und dieses Mädchen tut nichts weiter – dabei ist das etwas, wovon man nicht denken würde, dass es je getan werden kann –, als es so zu spielen, dass dies zu spüren ist, all dies ist zu spüren, sogar in Miss Marsalles’ Wohnzimmer in der Bala Street an einem grotesken Nachmittag. Die Kinder sind vollkommen still, die aus der Greenhill School und auch die übrigen. Die Mütter sitzen da, und auf ihren Gesichtern spiegelt sich Protest, eine tiefere Besorgnis als zuvor, als seien sie an etwas erinnert worden, von dem sie vergessen hatten, dass sie es vergessen hatten; das weißhaarige Mädchen sitzt ungelenk mit herabhängendem Kopf am Klavier, und die Musik wird durch die offene Tür und die Fenster auf die staubige Sommerstraße getragen.
    Miss Marsalles sitzt neben dem Klavier und lächelt in der ihr eigenen Art jedem zu. Ihr Lächeln ist weder triumphierend noch bescheiden. Sie schaut nicht drein wie ein Zauberkünstler, der die Gesichter der Leute beobachtet, um die Wirkung einer besonders originellen Enthüllung zu sehen; nichts dergleichen. Man sollte meinen, jetzt, wo sie am Ende ihres Lebens jemanden gefunden hat, dem sie das Klavierspielen beibringen kann – beibringen muss –, würde sie aufleuchten von der Wichtigkeit dieser Entdeckung. Aber es scheint, dass die Spielweise des Mädchens etwas ist, was sie immer erwartet hat, was sie natürlich und zufriedenstellend findet; Menschen, die an Wunder glauben, machen nicht viel Aufhebens, wenn sie tatsächlich einem begegnen. Und wie es scheint, betrachtet sie dieses Mädchen nicht mit größerem Staunen als die anderen Kinder aus der Greenhill School, die sie lieben, oder als uns übrige, die wir sie nicht

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