Tanz der seligen Geister (German Edition)
Garderobenständer und der Treppe; es ist kaum Platz, an ihr vorbei ins Wohnzimmer zu gelangen, und im Moment ist es unmöglich, vom Wohnzimmer aus den ersten Stock zu erreichen. Miss Marsalles trägt ihr Rouge, ihre Frisur und ihr Brokatkleid, auf das man tritt, wenn man nicht aufpasst. In diesem hellen Licht sieht sie aus wie eine Gestalt auf einem Maskenball, wie eine fiebrige, aufgeputzte Kurtisane aus der Vorstellungswelt eines böswilligen Puritaners. Aber das Fieber kommt nur von ihrem Rouge; und als wir dann ihre Augen sehen können, sind sie wie immer, rotgerändert, fröhlich und unverzagt. Meine Mutter und ich werden geküsst – ich werde begrüßt wie immer, als sei ich ungefähr fünf Jahre alt –, und wir gelangen vorbei. Mir kam es so vor, als sähe Miss Marsalles an uns vorbei, während sie uns küsste; als hielte sie die Straße hinauf nach jemandem Ausschau, der noch nicht eingetroffen ist.
Das Haus hat ein Wohnzimmer und ein Esszimmer mit einer eichenen Schiebetür dazwischen, die geöffnet ist. Es sind kleine Räume. Maria Stuart hängt riesig an der Wand. Es gibt keinen Kamin, also sind auch die eisernen Kaminböcke verschwunden, aber das Klavier steht da und sogar ein Strauß Spiräen und Pfingstrosen aus Gott weiß welchem Garten. Da das Wohnzimmer so klein ist, wirkt es überfüllt, obwohl sich kein Dutzend Personen darin befindet, die Kinder eingerechnet. Meine Mutter spricht mit anderen, lächelt und setzt sich hin. Sie sagt zu mir: Marg French ist noch nicht hier, kann es sein, dass sie sich auch verfahren hat?
Die Frau neben uns kenne ich nicht. Sie ist in mittleren Jahren und trägt ein strassbesetztes Kleid aus changierendem Taft, das nach chemischer Reinigung riecht. Sie stellt sich als Mrs. Clegg vor, Miss Marsalles’ Nachbarin aus der anderen Hälfte des Hauses. Miss Marsalles hat sie gefragt, ob sie die Kinder spielen hören möchte, und sie hat sich gedacht, das wird ein Genuss; sie liebt Musik in jeder Form.
Meine Mutter erkundigt sich sehr liebenswürdig, aber mit ein wenig beklommener Miene nach Miss Marsalles’ Schwester; ist sie oben?
»O ja, sie ist oben. Sie ist ja nicht mehr sie selbst, das arme Ding.«
Wirklich schlimm, sagt meine Mutter.
»Ja, schrecklich. Ich habe ihr etwas gegeben, damit sie den Nachmittag über schläft. Sie hat ja das Sprachvermögen verloren, wissen Sie. Hat so gut wie alle Fähigkeiten verloren.« Meine Mutter wird von einem gewissen genüsslichen Senken der Stimme gewarnt, dass ausführlichere und intimere Einzelheiten folgen könnten, und sagt rasch wieder, wie schlimm es sei.
»Ich komme rein und schaue nach ihr, wenn die andere zu ihren Stunden aus dem Haus geht.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen. Sie ist Ihnen bestimmt dankbar.«
»Ach, zwei alte Damen so wie die tun mir einfach leid. Sie sind zwei kleine Schätzchen, die beiden.«
Meine Mutter murmelt etwas zur Antwort, sieht dabei aber nicht Mrs. Clegg an, ihr ziegelrotes, gesundes Gesicht mit den – für mich – erstaunlichen Zahnlücken. Sie schaut mit halbwegs beherrschter Bestürzung an ihr vorbei ins Esszimmer.
Was sie dort sieht, das ist der gedeckte Tisch, alles steht bereit für das Fest, nichts fehlt. Die Platten mit den Sandwiches sind aufgetragen, und das offenbar seit etlichen Stunden; man kann sehen, wie die oberen sich langsam krümmen. Fliegen schwirren über dem Tisch, lassen sich auf den Sandwiches nieder und kriechen gemächlich über die Petit Fours aus der Bäckerei. Die Bowle aus geschliffenem Glas, die wie immer die Mitte des Tisches einnimmt, ist gefüllt mit dunkelrotem Punsch, offenbar ohne Eis und bereits schal.
»Ich habe ihr ja geraten, das alles nicht viel zu früh anzurichten«, flüstert Mrs. Clegg mit schelmischem Lächeln, als redete sie von den Launen und Fehlern eines eigensinnigen Kindes. »Sie war schon um fünf Uhr früh auf den Beinen, um diese Sandwiches zu machen. Ich weiß nicht, wie die schmecken sollen. Hatte wohl Angst, sie würde nicht fertig werden. Oder was vergessen. Sie hat immer Angst, etwas zu vergessen.«
»Speisen sollten in dieser Hitze nicht lange draußen stehen«, sagt meine Mutter.
»Na, wir werden uns schon nicht daran vergiften. Ich dachte nur, wie schade, dass die Sandwiches vertrocknen. Und als sie mittags das Ginger Ale in den Punsch geschüttet hat, musste ich lachen. Die reine Verschwendung.«
Meine Mutter setzt sich anders hin und drapiert ihren Voilerock um, als sei ihr plötzlich bewusst
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