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Tanz der seligen Geister (German Edition)

Tanz der seligen Geister (German Edition)

Titel: Tanz der seligen Geister (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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ihr Wohnsitz. In einem schmalen Haus, erbaut aus ruß- und himbeerfarbenen Ziegelsteinen, grimmige kleine Zierbalkons ragten vor den Fenstern im ersten Stock aus der Wand, Türme waren zwar nirgendwo zu sehen, trotzdem wirkte das Haus, als hätte es welche; dunkel, pompös, auf poetische Art hässlich – das Familienheim. Und in Rosedale verlief das jährliche Fest gar nicht so schlecht. Es gab immer eine unbehagliche Pause vor den Sandwiches, denn die Frau in der Küche war Feste nicht gewohnt und langsam, aber die Sandwiches, wenn sie dann kamen, waren stets sehr gut: Huhn, Spargel, gesunde, gewohnte Dinge – dekorierteKinderkost. Die Darbietungen auf dem Klavier waren üblicherweise fahrig und abgehackt oder missmutig und geistlos, mit der gelegentlichen Überraschung einer echten Katastrophe. Man war sich darin einig, dass Miss Marsalles’ idealistische Sicht der Kinder, ihre Naivität oder Blauäugigkeit ihnen gegenüber sie als Lehrerin nahezu untauglich machten; sie war unfähig, sie anders als in der sanftesten und behutsamsten Form zu kritisieren, und ihre Lobsprüche waren unverzeihlich unehrlich; es bedurfte schon einer ungewöhnlich gewissenhaften Schülerin, um eine halbwegs achtbare Darbietung zustande zu bringen.
    Aber im Großen und Ganzen hatte die Veranstaltung zu jener Zeit Gediegenheit, sie hatte Tradition, und auf ihre eigene, ungeniert antiquierte Art hatte sie Stil. Alles war immer wie erwartet; Miss Marsalles selbst, die in der Eingangshalle mit dem gefliesten Fußboden und dem dumpfen Sakristeigeruch wartete, mit Rouge auf den Wangen, einer altertümlichen, nur für diesen Anlass hergerichteten Frisur und in einem bodenlangen Kleid aus pflaumenblauen und hell rötlichen Stoffstücken, die aussahen, als stammten sie von alten Sesselbezügen, erschreckte nur die kleinsten Kinder. Sogar der Schatten hinter ihr, eine weitere Miss Marsalles, nur etwas älter, größer und grimmiger, deren Existenz stets von einem Juni bis zum nächsten in Vergessenheit geriet, löste keine Beklommenheit aus –obwohl es sicherlich faszinierend war, dass es nicht nur ein solches Gesicht auf der Welt gab, sondern zwei davon, beide lang, kiesgrau, freundlich und grotesk, mit riesigen Nasen und winzigen roten, lieben und kurzsichtigen Augen. Es muss ihnen schließlich wie ein Glücksfall vorgekommen sein, wie ein Schutzwall gegen das Leben, so hässlich zu sein, auf so vielerlei Art deformiert, unmöglich, denn sie waren so heiter, wie unverletzliche und kindliche Menschen es sind; sie muteten an wie geschlechtslose, freie und sanfte Geschöpfe, exzentrisch, doch dabei häuslich, untergebracht in ihrem Heim in Rosedale außerhalb aller Zumutungen der Zeit.
    In dem Zimmer, in dem die Mütter saßen, einige auf harten Sofas, andere auf Klappstühlen, um die Kinder das »Zigeunerlied«, den »Harmonischen Grobschmied« und den »Türkischen Marsch« spielen zu hören, hing ein Bild von Maria Stuart in Samt mit seidenem Schleier vor Schloss Holyrood. Es gab braune, neblige Bilder von historischen Schlachten, ferner die Harvard-Klassiker, eiserne Kaminböcke und einen Pegasus aus Bronze. Keine der Mütter rauchte, es standen auch keine Aschenbecher zur Verfügung. Es war dasselbe Zimmer, genau dasselbe Zimmer, in dem sie selbst vorgespielt hatten; ein Zimmer, dessen düsterer, unpersönlicher Stil (der üppige Strauß aus Spiräen und Pfingstrosen, der Blütenblätter auf dem Klavier ausstreute, war Miss Marsalles’ eigener Beitrag und nicht ganz glücklich) gleichzeitig ungemütlich und beruhigend war. Hier fanden sie sich Jahr um Jahr wieder ein – eine Gruppe vielbeschäftigter, jüngerer Frauen, die ihre Autos ungeduldig durch die altertümlichen Straßen von Rosedale manövriert hatten, die zuvor eine Woche lang die verlorene Zeit, den Wirbel um die Kleider der Kinder und vor allem die Langeweile beklagt hatten und die dennoch von einer kaum glaubhaften Anhänglichkeit zusammengeführt wurden – weniger an Miss Marsalles als an die Zeremonien ihrer Kindheit, an eine fester gefügte Lebensstruktur, die auch damals schon auseinanderbrach, aber unerklärlicherweise in Miss Marsalles’ Wohnzimmer weiterlebte, immer noch überlebte. Die kleinen Mädchen in Kleidern mit Röcken, so steif wie Glocken, bewegten sich mit einem natürlichen Gefühl für das festliche Ereignis vor den dunklen Bücherwänden, und die Gesichter ihrer Mütter trugen den gelangweilten, nicht unfreundlichen Ausdruck der Duldung, gemischt

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