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Tanz der Sinne

Tanz der Sinne

Titel: Tanz der Sinne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
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brauchte überhaupt nicht zu reden, und das war gut, denn er war sich nicht sicher, ob es ihm gelungen wäre, ein Wort hervorzubringen. Nach einer Weile, als der Knoten in seiner Brust sich zu lösen begann, konnte er einen gelegentlichen Kommentar beisteuern. Außerdem merkte er mit leisem Erstaunen, daß er zum erstenmal seit dem Unfall wieder hungrig war.
    Nach dem Essen sagte Rafe: »Ich hab’ in der Stadt etwas für deine Sammlung gefunden, Luce.« Er stand auf und wühlte in seinem Schreibtisch herum, kam dann zurück und gab ihm einen kleinen Gegenstand.
    Es war eine mechanische Schildkröte mit einer winzigen bronzenen Meerjungfrau auf dem Rücken. Selbst sein Kummer konnte Lucien die Freude daran nicht verderben. »Das ist ein echter Schildkrötenpanzer, nicht?« Er drehte das Objekt hin und her und bewunderte die feine Handarbeit.
    Dann zog er die Feder auf und setzte das Spielzeug auf den Fußboden.
    Schwerfällig setzte die Schuldkröte sich in Gang.
    Obwohl winzige unsichtbare Räder sie bewegten, sah es aus, als ob sie wirklich liefe. Auf ihrem Rücken saß die Meerjungfrau, schwenkte ihren Arm und warf den faszinierten Jungen scherzhafte Kußhände zu.
    Lucien lächelte eine Sekunde lang, bevor das Bewußtsein der Wirklichkeit wieder über ihn hereinbrach. Sein Vater hatte ihm das erste mechanische Spielzeug geschenkt und ihn dazu ermuntert, sie zu sammeln und selbst zu bauen.
    Sein Vater, der jetzt in der Familiengruft in Ashdown lag und nie wieder lachen würde. Lucien blinzelte, um seine Tränen zurückzuhalten. Wenn es doch wirklich ein Märchenland gegeben hätte, voll Magie und Fabelwesen, in dem nie jemand sterben mußte.
    Als er sich wieder in der Gewalt hatte, sagte er:
    »Bist du sicher, daß du mir das schenken willst, Rafe? Ich hab’ noch nie so eins gesehen.«
    Rafe zuckte die Achseln. »Wenn ich es mir ansehen will, weiß ich ja, wo ich es finden kann.«
    Die Schildkröte blieb stehen, und Luden zog den Mechanismus noch einmal auf. Dann gelang es ihm zu sagen: »Sie nennen mich den Waisenjungen.«
    Angewidertes Schweigen machte sich breit, bis Michael sagte: »Ein scheußlicher Spitzname.
    Klingt, als ob du ein Bettler wärst.«
    Die anderen nickten zustimmend. Lucien wußte, daß sie ihn verstehen würden.
    »Wir müssen einen besseren Spitznamen für dich finden, bevor der hier an dir hängen bleibt«, verkündete Rafe entschlossen. »Wie möchtest du genannt werden, Luce?«
    Nicholas schmunzelte. »Wie war’s mit der Schlange von Strathmore? Das klingt angemessen.«

    Lucien überlegte. Eine Schlange, geschmeidig und todbringend. Jeder fürchtete Schlangen. Aber…
    »Nicht schlecht, aber nicht ganz das Richtige.«
    »Ich hab’ eine bessere Idee.« Michael grinste und hielt das Buch hoch, in dem er gelesen hatte. Es war Miltons Verlorenes Paradies. »Du heißt Lucien, da ist Lucifer ziemlich naheliegend.«
    »Perfekt«, rief Nicholas enthusiastisch. »Lucifer, der rebellische Erzengel, der lieber in der Hölle regiert, als im Himmel dient. Blond wie du bist, machst du dich großartig als Morgenstern.«
    »Nicht übel«, sagte Rafe. »Ich bin überzeugt, daß Milton eine geheime Vorliebe für Lucifer hatte. Als Persönlichkeit ist er wesentlich interessanter als Gott. Der benimmt sich wie ein langweiliger Schulmeister.«
    »Wenn wir alle anfangen, dich Lucifer zu nennen, machen es uns in zwei Wochen alle Jungen in Eton nach.« Michaels grüne Augen funkelten vor Spitzbüberei. »Die Lehrer werden aus der Haut fahren.«
    Lucien lehnte sich gegen das Bett und schloß die Augen, um nachzudenken. Spitznamen waren wichtig, ein alberner Name wie Wiesel konnte einen ein Leben lang verfolgen. Lucifer war ein guter, stolzer Name – ein Geschöpf, das Gott verlachen konnte, war klug genug, um nicht zu sehr zu lieben. Und ein gefallener Erzengel weinte nachts ganz bestimmt nicht.
    Er setzte eine kühle, ironische Miene auf. Ja, das war hervorragend. »In Ordnung«, sagte er bedächtig. »Von jetzt an bin ich Lucifer.«

Kapitel 1
    London, Oktober 1814
    Zwei Tage waren vergangen, und die Zeit zum Trauern war vorbei. Jetzt mußte sie handeln.
    Sie hatte bereits die naheliegenden Personen befragt, ohne etwas zu erfahren. Abgesehen von ihrer Intuition gab es keinen Beweis, daß etwas Furchtbares vorgefallen war.
    Natürlich war ihre Intuition in diesen Dingen unfehlbar.
    Wenigstens war es noch nicht zum Schlimmsten gekommen, Gott sei gedankt. Wenn sie rasch handelte, konnte sie die Katastrophe

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