Taqwacore
den angrenzenden Raum drängelten, um sich zum Gebet aufzustellen, fragte ein Junge, den ich aus einem Seminar kannte, Jehangir nach der besprühten Flagge.
»Das bedeutet einfach ›Anarchie‹, Yakhi«, sagte Jehangir halblaut.
»Aber in Saudi-Arabien wird der Islam in besonders reiner Form praktiziert«, entgegnete der Junge. »Überall auf der Welt werden sie dir sagen, schau nach Saudi-Arabien, wenn du den wahren Islam suchst.«
»Alhamdulillah, Bruder«, sagte Jehangir, der solche Dinge nie in Frage stellte. »Aber die Regierung dort, weißt du, die …«
»Aber es steht immer noch Allahs Name auf der Flagge«, unterbrach der Junge ihn. »Du hast die Schahada angesprüht.«
»Astagfirullah«, sagte Jehangir. »Tut mir leid, Bruder, daran habe ich nicht gedacht. So war das nicht gemeint.«
»Maschallah«, antwortete der Junge. »ich will hier keinen Ärger machen …«
»Maschallah«, sagte Jehangir.
»Aber es ist einfach etwas Gutes, es ist ein guter Brauch, den Namen Allahs zu respektieren.«
»Natürlich«, antwortete Jehangir.
Das Wohnzimmer und der angrenzende Raum – die ohne eine Wand oder Tür ineinander übergingen und sich nur durch die verschiedenen Teppichbeläge voneinander unterschieden – waren so voll, dass es schon unangenehm war, bei den Sadschdas rammte man sich die Ellbogen in die Rippen und man musste sich anstrengen, um nicht mit der Stirn an die Füße von jemand anderem zu stoßen. Unsere Dschamaat duftete nach Ölen aus mindestens zwanzig Ländern, dazu kam noch der Geruch von verschüttetem Bier, Körperausdünstungen und Haschisch, der nie völlig aus dem Haus zu kriegen war. Fasiq stand in seinem Operation-Ivy-Kapuzenpulli vor dem Loch in der Wand, seinen Iro hatte er unter eine schwarze Yankees-Skimütze gestopft. Seine Khutba dauerte nur wenige Minuten, sie drehte sich um die Ayat 19 und 20 aus der Sure al-Hidschr , die davon handeln, dass Allah »wohlausgewogene Dinge« auf der Erde wachsen ließ und dass Er alle Schätze der Welt besaß und sie nur in kleinen Mengen austeilte. Für Fasiq Abasa bedeutete dies, dass alles in der Natur von Allah kam und Er uns nur das gab, was wir gebrauchen können. Obwohl Marihuana in Fasiqs Rede nicht extra erwähnt wurde, wusste ich, dass es in Umars wütender Auslegung eine Rolle spielen würde. Oft kam es einem so vor, als würde Umar mehr an Drogen denken als jeder andere im Haus.
Die Dschamaat war eine geradezu absurde Ansammlung von Leuten: Der Pork-Pie-Hut von Rude Dawud hier, ein Typ in Dschilbab und Turban dort, Jehangirs Iro ragte aus einem Meer von Kufis heraus, Amazing Ayyub immer noch ohne T -Shirt, dazwischen überall irgendwelche Mädchen – manche trugen Hidschabs, manche nicht, und Rabeya mit ihrer Burka voller Punkaufnäher war sowieso ein Fall für sich. Aber dieses zufällige Durcheinander war großartig, es stand für einen Islam, den ich mir trotz Jehangirs Geschichten über die Taqwacores in Kalifornien nirgendwo anders vorstellen konnte. Seit ich jeden Freitag die Khutba hörte und zusammen mit meinen Brüdern und Schwestern nach der al-Fatiha so laut » AAAAMEEEEEN « rief, das es jeden umgehauen hätte, zwischen den ganzen blöden Bandpostern, den Flecken und der abblätternden Farbe an den Wänden, staunte ich immer mehr über dieses Haus und die ganze Sache, die wir da zum Laufen gebracht hatten, auch wenn ich keinen großen Anteil daran gehabt hatte. Ich war einer von den Stillen, den Langweilern, die zukünftig als Ingenieure bei Xerox und Kodak arbeiten würden. Wenn der Islam gerettet werden würde, dann von den Verrückten: Jehangir und Rabeya, Fasiq und Dawud, Ayyub und sogar Umar.
Freitagnachmittag bedeutete also Dschuma, und Freitagabend hieß auch, dass mein Zuhause von blöden, bedröhnten Kids jeder Couleur bevölkert wurde. Jeder von uns legte seine CD s bei der Stereoanlage ab und wir stritten uns darum, wer auflegen durfte. Außer seinen geliebten Taqwacore-Bands, die stilistisch und musikalisch sehr unterschiedlich ausfielen, mochte Jehangir Tabari die heroischen Arbeiterklasse-Sauflieder von 77. Rude Dawud spielte seinen Desmond Dekker, die Specials und die Skatalites. Umar legte natürlich Minor Threat und Youth of Today auf, interessierte sich aber nicht für die Straight-Edge-Bands aus der Taqwacore-Szene, von denen Jehangir gesprochen hatte, als ob er daran zweifelte, dass irgendjemand wirklich gleichzeitig Muslim und Punk sein konnte. Darin erinnerte er mich an meinen Vater, der
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