Taqwacore
schmerzhaft.«
»Du glaubst also immer noch an Allah?«
»Ich glaube, dass irgendetwas uns erschaffen oder hervorgebracht hat und dieses Etwas so viel Erbarmen mit uns hat, dass wir es niemals werden begreifen können.«
»Das klingt für mich nach Islam.«
»Ja?«, sagte sie mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Die Hadithen besagen, dass Allahs Gnade größer ist als Sein Zorn.«
»Wenn du mit der linken Hand isst, folgst du dem Teufel.«
»Ja, das gibt’s auch.« Ich versuchte nervös zu lachen.
»Es ist schwierig«, sagte sie. »Es gibt Dinge im Islam, die sich so wunderbar anhören und die man einfach nur … fühlen kann, und man liebt Allah so sehr … und dann kommt dieser dumme Scheiß.«
»Ja«, antwortete ich und fragte mich, ob mein Zugeständnis , dass es dummen Scheiß im Islam gab, mich jetzt auch zu einem Abtrünnigen machte. »Aber es hört sich so an, als hättest du den Tauhid begriffen, das ist das Wichtigste.«
»Ich glaube schon.«
»Was ist mit Mohammed, glaubst du an Mohammed?«
»Das ist es eben«, sagte sie mit plötzlicher Wachsamkeit. »Was soll das mit Mohammed? Wenn er nicht der muslimische Christus ist, warum ist es dann so wichtig, an ihn zu glauben?«
»Na ja, es geht nicht so sehr darum, an Mohammed zu glauben, sondern …«
»Außerdem, was soll ich über einen Kerl denken, der eine Sechsjährige geheiratet hat?«
»Ja, aber …«
»Er hat eine Sechsjährige geheiratet«, sagte sie.
»Aber er hat die Ehe nicht vollzogen, bis sie …«
»Neun war, ich weiß. Das ist dann okay. Es ist okay, Rasulullah, sie ist neun, sie hat ihre Tage, also steck ihn rein. Was soll ich davon halten, Yusef?«
»Ich weiß nicht, Lynn.«
»Ich bin ein spiritueller Mensch«, sagte sie. »Ich glaube an Allah, auch wenn ich Ihn nicht immer ›Allah‹ nenne, und ich bete so, wie ich beten will. Manchmal sehe ich nur rauf zu den Sternen und mir wird ganz bang vor lauter Liebe, weißt du? Und manchmal sitze ich in einer Kirche und höre zu, wie sie über Isa reden, und habe statt des Gesangbuchs ein Buch von Hafiz in der Hand. Und weißt du was, Yusef? Manchmal, nicht sehr oft, hole ich meinen alten Teppich heraus und bete, so wie Mohammed gebetet hat. Ich hab den Kram nie auf Arabisch gelernt und meine Knie sind nicht bedeckt, aber wenn Allah ein Problem damit hat, an was für einen Allah glauben wir dann?«
»Ich weiß es nicht.« Ein Auto hielt am Bordstein direkt hinter Umars Pick-up, um sie abzuholen.
»Es tut mir leid«, sagte sie beim Aufstehen. »Ich wollte nicht so rüberkommen, aber es ist manchmal einfach schwierig.«
»Ach, nein, ist schon in Ordnung.«
»Ich wollte so gerne Muslima sein, weißt du das?«
»Ja.« Sie wandte mir ihr Gesicht halb zu, als sie die Treppe runterging.
»Sie haben es mir so schwer gemacht«, sagte sie.
»Ich weiß das.«
»Wir sprechen uns später, Yusef.«
Als das Auto nicht mehr zu sehen war, verließ auch ich die Veranda und ging spazieren. Ich wusste nicht, wohin ich ging oder wie spät es war. Ging einfach die Straße rauf und um die Ecke. Sah mir all die Häuser an, die Lichter in jedem von ihnen, fragte mich, wie es wohl wäre, wie Umar zu sein und in moralischer Opposition zu jedem und allem durch die Gegend zu laufen, und dann fragte ich mich, ob er irgendetwas Schönes besaß, das ich verloren hatte; ob ich wirklich so viel über meine Religion nachgedacht oder mich nur für den Weg des geringsten Widerstands entschieden hatte? Es wäre ganz schön lästig, wirklich fünf Mal am Tag zu beten, doch Umar tat es. Ich könnte mich für fünf Minuten aus dem Seminar entschuldigen, Wudu im Waschbecken der Herrentoilette verrichten und eine ruhige Ecke finden. Ich war mir sicher, dass andere das taten.
Doch falls Umar etwas Schönes besaß, warum konnte er dann nicht das Schöne in Lynn sehen? Sie war so voller Liebe und Glauben, dass sie gar keine Religion mehr brauchte . Oder sie war einfach nur bequem.
Irgendwo hier draußen, stellte ich mir vor, war Fasiq Abasa und zog sich Scheich Iggy Pop rein; irgendwo in unserem Haus war Jehangir Tabari wahrscheinlich weggepennt, die goldene, trunkene Erhabenheit, mit der Allah ihn benetzt hatte, war längst verschwunden. Umar war wahrscheinlich noch immer zornig und standhaft, bestärkt durch nur einen Blick auf den bewusstlosen Jehangir. Amazing Ayyub hatte wahrscheinlich den Fußboden im Badezimmer mit dem Inhalt seines Magens garniert. Rabeya hatte zweifellos zwei oder drei Leute in eine
Weitere Kostenlose Bücher