Taqwacore
ist für jeden haram.«
»Und natürlich«, sagte sie und ließ ihre Hand leicht auf meinen Unterarm fallen, »sind auch Frauen verflucht, die sich die Augenbrauen zupfen.«
»Echt?«
»Mein lieber Yusef Ali, du solltest wirklich mal die Hadithe lesen.«
»Stimmt schon.«
»Ich weiß noch, früher, als ich noch eine gute Schwester war und jeden Tag in die Moschee ging … da sagte eine der Frauen, die mich anleitete, eines Tages ganz diskret zu mir: ›Lynn, ich habe bemerkt, dass du nicht gerade dicke Augenbrauen hast, und ich will nur, dass du weißt, was der Prophet dazu gesagt hat …‹ Ich dachte: ›Wow, okay, ich zupfe mir gar nicht die Augenbrauen, aber danke für die Info. Jetzt werde ich in den Himmel kommen.‹« Ich versuchte zu lachen. »Also, denk dran, Yusef. Lass deine Augenbrauen so, wie sie sind!«
»Werde es versuchen.«
Wir unterbrachen die Unterhaltung, während jeder von uns von seiner Pizza aß. »Weißt du was«, bemerkte ich, nachdem ich meinen Bissen heruntergeschluckt hatte, »ich kann mir vorstellen, dass es für dich viel einfacher ist.«
»Was denn?«, antwortete sie mit halbvollem Mund.
»Die guten von den schlechten Sachen zu trennen. Du bist nicht in einer muslimischen Familie aufgewachsen, deshalb kannst du dir die Sachen nach deinen eigenen Bedingungen zurechtlegen. Für mich ist das schwierig, alles ist ein großes zusammenhängendes Ganzes. Es gibt einige wertvolle Richtlinien, an die ich mich gerne für den Rest meines Lebens halten möchte, manches entspricht einfach der Kultur, die einen Teil von mir ausmacht, und dann sind da noch die ganzen Traditionen, die ich nicht verstehen kann und von denen ich nicht weiß, warum die Leute ihnen folgen, aber so ist es nun mal schon immer gewesen. Deshalb glaube ich, dass dein Islam etwas hat, was meinem fehlt.«
»Was meinst du damit?«, sagte sie mit einem verhaltenen Lächeln, das erfreut und überrascht wirkte.
»Ich kann mich in spiritueller Hinsicht nicht von meiner Familie, meinem Erbe und meiner Identität als Südasiate lossagen; das ist alles untrennbar miteinander verbunden. Wenn du einen Teil davon ablehnst, dann lehnst du in gewisser Weise alles ab.«
»Meine Familie war auch nicht gerade enttäuscht, als ich wieder Weihnachten feierte.«
»Du feierst Weihnachten?«
»Nur mit meiner Familie. Das hat nichts mit Religion zu tun.«
»Na ja, es ist schließlich ein christliches Fest.«
»Nein, ist es nicht. Es bedeutet, ich sehe meine Familie, die ich sonst nicht sehe.«
»Aha.«
»Aber was soll’s? Es ist so, wie Attar sagte: ›Vergiss, was der Islam ist oder nicht ist.‹«
»Attar?«
»Fariduddin Attar. Conference of the Birds , hast du das gelesen?«
»Kann ich nicht behaupten.« Marcos ging zur Tür und versuchte, die große braune Papiertüte mit der Pizza gerade zu halten.
Lynn rief ihn zu uns.
»Was gibt’s?«, fragte er, als er vor unserer Nische stand.
»Hey Marcos, wir wollen uns nur mal deine Tattoos anschauen.«
Er streckte seine grünen Arme aus, damit wir sie besser sehen konnten.
»Hast du nicht auch eins auf dem Bauch?« Marcos zog sein T -Shirt hoch und entblößte den Schriftzug »Fi-sabilillah«, der in großen Buchstaben unter seinem Brustkorb stand.
»Das habe ich mir vor einem Monat machen lassen«, erläuterte er.
»Hübsch, wirklich hübsch … hör mal, Marcos, was wäre, wenn jemand dir sagen würde, dass das haram ist?«
»Ich würde sagen: Verpiss dich , und wenn Allah bei der leiblichen Auferstehung fragt: ›Was ist das?‹, würde ich antworten: ›Es soll deinen Namen preisen.‹ Wenn Er mich dann noch in die Hölle werfen will, an was für einen Allah habe ich dann geglaubt?«
»Genau«, sagte Lynn.
»Maschallah«, fügte ich hinzu.
»Tja, Lynn, war schön, dich mal wiederzusehen.« Er wandte sich zu mir. »Und deinen Namen habe ich nicht mitgekriegt …«
»Yusef Ali«, antwortete ich.
»Oh, cool. Yusef, ich bin Marcos.« Wir schüttelten uns die Hand.
»Oh, tut mir leid«, sagte Lynn. »Das hätte ich machen sollen.«
»Schon okay«, sagte Marcos.
»Was ist dein guter Name?«, fragte ich.
»Marcos«, antwortete er.
»Oh. Ich meine, hast du ihn nicht geändert?«
»Nein, habe ich nicht.«
»Das ist ziemlich cool.«
»Ja. War nett, euch zu treffen. Lynn, mach’s gut.«
»Bis dann, Marcos.«
»Hat mich gefreut«, sagte ich. Und dann war er weg.
» Guter Name?«, fragte Lynn und lehnte sich über den Tisch. »Was zum Geier ist das
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