Taqwacore
Bands bei dem Taqwacore-Konzert auftreten sollten, während im Hintergrund »Fuck Religion« von den Propagandhis lief. Da ich dazu nichts beitragen konnte, schaltete ich nach einer Weile ganz ab. Meine Augen fielen auf die Flagge an der Wand: Streifen in Regenbogenfarben, Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Lila, in der Mitte ein glänzender bronzefarbener Halbmond mit Stern.
Dialogfetzen drifteten durch meinen Kopf, ohne dass ich irgendetwas davon erfasste.
»Vote Hezbollah«, sagte einer von ihnen – aber ich hatte nicht aufgepasst und wusste nicht, wer. »Die müssen wir unbedingt haben.«
»Und Eight from the Ukil.« Es entstand eine Pause, während der Name aufgeschrieben wurde.
»Die Mutawweens.«
»Scheiße, ja, und die Imran Khan Experience.«
»Cool.«
»Vielleicht auch die Zaqqums und die Bin Quarmats, die sind beide ziemlich gut.«
»Die Zaqqums sind Straight Edge, oder?«
»Ich glaube schon. Sie klingen nur nicht so.«
»Burning Books for Cat Stevens?«
»Ja.«
»Die Ghilmans haben wir schon aufgeschrieben.«
»Schreib auch die Wilden Mukhalloduns auf.«
»Okay.«
»Die Infibulateds.«
»Wer?«
»Die Infibulateds.«
»Was machen die?«
»Sie sind Riot Grrls und singen über Sex und Genderthemen. Die meisten ihrer Songs handeln davon. Dass Frauen ihre Sexualität nicht richtig ausleben und dabei ihre islamische Würde behalten können, weil ein Mädchen, das gern Sex hat und offen darüber spricht, automatisch seine Selbstachtung verlieren muss, so’n Zeugs, sie nehmen den ganzen Scheiß auseinander.«
»Nett.«
»Was ist mit Osama bin Laden’s Tunnel Diggers?«
»Ja, unbedingt. Hast du sie mal gesehen? Sie rocken total.«
Aus irgendeinem Grund erwachte mein Interesse an der Unterhaltung plötzlich wieder.
Ich wusste, dass die Namen der Bands nichts zu sagen hatten. Punkbands haben immer bescheuerte Namen, entweder sollen sie witzig sein oder schockierend. Es gab Bands mit Namen wie Child Molesters, Nipple Erectors, White SS , Snivelling Shits, Raped. Trotzdem musste ich gerade an bin Laden selbst denken.
Es war leicht, sich sein Bild vor Augen zu rufen. Durch den langen Bart wirkte sein Gesicht fast noch schmaler. Die Augen hatten etwas Ruhiges und Magnetisches. Ein ausgestreckter Zeigefinger vage gen Himmel gerichtet. Weißer Turban, Tarnjacke über einem weißen Dschilbab. Er sah aus, als könnte er irgendwo anders ein Che Guevara sein – mit Porträts, auf denen er bescheiden und zugleich erhaben aussah, T -Shirts und Postern und seiner eigenen Actionfigur.
»Was ist mit Bilal’s Boulder?«, überlegte Jehangir.
»Scheiße, nein«, sagte Muzammil. »Die Typen sind Arschlöcher.«
»Ja, stimmt schon. Aber als Band sind sie trotzdem ziemlich gut.«
»Bilal’s Boulder? Bei ihren Konzerten dürfen Mädchen noch nicht mal rein!«
»Ja, aber sie sind Taqwacore.«
»Ich weiß nicht, Bruder. Das könnte Probleme geben.«
»Wir verklickern ihnen gleich, dass es ein Konzert für Männer und Frauen ist, und wenn ihnen das nicht passt, dann müssen sie ja nicht kommen.«
»Sie werden sich über einige der anderen Bands aufregen.«
»Das wäre schade«, sagte Jehangir. »Ich will niemanden ausschließen.«
»Die Typen sind totale Arschlöcher.«
»Ich weiß, Yakhi. Aber bei Taqwacore geht es doch gerade darum, dass der Islam jede Form annehmen kann, die du willst. Wenn wir eine Band ausschließen, weil wir ihre Haltung oder ihre Aussagen nicht mögen, dann sind wir auch nicht besser als die ganzen konformistischen, engstirnigen Imame überall da draußen.«
»Okay«, sagte Muzammil. »Bilal’s Boulder, cool.«
Wir fuhren zu dritt in Jehangirs Auto durch Buffalo und erreichten die heruntergekommenen, verfallenen Teile der Stadt. Jehangir hatte sein Rancid-Tape eingelegt, das mit »The War’s End« losging. Wir fuhren die Tonawanda Street hinunter und vorbei an dem riesigen Pornoladen mit den großen gelben Reklametafeln. Filme für Erwachsene. Über 75000 Titel . Der Wind trieb Schneewehen von den Dächern stillgelegter Fabriken. Ganze Straßenzüge voller schäbiger Backsteinwürfel mit Sperrholz vor den Fenstern. Über alles schien sich eine Schicht von Schmutz und Ruß gelegt zu haben; man würde lasterweise Seifenlauge brauchen, um sie zu entfernen. Jehangirs Pakul aus brauner Wolle verlieh unserer Fahrt einen harten Dritte-Welt-Touch. Dritte Welt in Buffalo. Wir fuhren an einer Baustelle vorbei, Unkraut ragte aus dem Schnee, und man konnte noch immer die
Weitere Kostenlose Bücher