Taqwacore
mit und saß vorne auf dem Beifahrersitz. Das Mädchen brachte eine Freundin mit, die darauf bestanden hatte, sie zu begleiten. Sie waren beide im ersten Semester; es war ihr erster Winter im College.
»Weißt du noch, dieser Hippie-Typ vor Pano’s?«, fragte die eine.
»Oh Gott! Der war doch verrückt! Erinnerst du dich an den Typ mit dem Princeton-Kapuzenpulli?«
»Oh nein! Der war ja völlig durchgeknallt!« Sie lachten beim Sprechen. Ich hatte bei keiner von ihnen eine Chance. Ich war der nette Typ, der einen im Notfall zum Flughafen fährt. Das war meine Rolle. Sie fanden Jehangirs Haare cool.
Als ich zum ersten Mal geflogen bin, war es Dezember, seitdem fühle ich mich auf Flughäfen immer so angenehm weihnachtlich.
»Süße Mädels«, sagte Jehangir, es klang fast traurig. »Und sie sind auf dem Höhepunkt ihrer Macht.«
»Was meinst du damit?«
»Jugend, Yakhi.« Ich sah zu ihm rüber, nie wäre ich auf den Gedanken gekommen, das Jehangir Tabari sich alt fühlen könnte. Doch in diesem Moment sah er alt aus, als hätte etwas an ihm gezehrt, ohne dass jemand von uns es bemerkt hatte. »Yusef, hast du schon mal von Marie Laveau gehört?«
»Nee.«
»Marie Laveau, die Voodoo-Königin von New Orleans. Die Leute legen Münzen, Lebensmittel oder sonst was auf ihr Grab. Man malt ein rotes X mit einem Stein drauf und steckt sich eine Tulpe ins Haar, angeblich soll das was bewirken.«
»Was denn?«
»Dass man die wahre Liebe findet, was weiß ich.« Ich konnte spüren, dass er das nur so dahinsagte und dann mühelos das Thema wechselte, ohne dass in seiner Stimme irgendeine Regung mitklang. »Hast du jemals Buzz Sawyer gelesen?«
»Wer ist denn Buzz Sawyer?«
»Er war ein prolliger Lastwagenfahrer vom Land, der sich ganz dem Sufismus verschrieb. Ein richtiger Tabakkauer. Und ein amerikanischer Sufi-Heiliger. In seinen ausgewaschenen Jeans mit einer dicken Gürtelschnalle, seiner John-Deere-Kappe, einem Flanellhemd und einer Daunenweste fuhr er auf einem riesigen Sattelschlepper durchs Land, Tausende von Kilometern in völliger Einsamkeit, und machte geistige Sufi-Übungen; den ganzen Weg von New York bis Colorado sagte er heilige Namen auf.«
»Das klingt interessant.«
»Dichter wie Rumi schrieben Liebesgedichte, die scheinbar von menschlichen Leidenschaften handeln, aber in Wirklichkeit brachten sie damit ihre Liebe zu Allah zum Ausdruck. Buzz Sawyer schrieb ziemlich derbe Gedichte über Truckstop-Nutten, die sich mit den Fahrern über Funk verabredeten, um mit ihnen an bestimmten Treffpunkten zu ficken. Das Ganze ist ziemlich obszön, aber auf seine Art will er das Gleiche ausdrücken. In Wirklichkeit ist er auf der Suche nach Gottes Liebe.«
»Das ist ja irre.«
»Er ist jetzt irgendwo da draußen.«
»Wow.«
»Er war ein Sufi in der Tradition Uwaisis. Du weißt, was das ist?«
»Nein.«
»Der Weg des Uwais. Weißt du, wer das war?«
»Nein.«
»Uwais al-Qarani war ein Schafhirte, der zur Zeit von Rasulullah lebte. Er ist Mohammed nie persönlich begegnet, aber wurde von ihm geleitet, durch Telepathie oder so was ähnliches. Daraus wurde eine Riesensache: Es ging darum, keinem menschlichen Lehrer zu folgen, sondern dem Geist Mohammeds.«
»Aha.«
»Uwaisi-Sufismus. Keine Schule, kein Scheich, keine Tariqa. Nur du da draußen auf der Straße, ganz alleine.«
»Das klingt ziemlich einleuchtend.«
Als wir zurückkamen, kramte Jehangir in seinem Zimmer herum und fand ein Gedicht von Buzz Sawyer, das er aus einem geborgten Buch fotokopiert hatte. Es hatte keinen Titel.
genau jetzt
hier im heiligen haus der waffel
während ich
drei lange streifen speck anstarre
sage ich du’a.
ich liebe allah
und mohammed
ist ein toter vogel im rinnstein
aber damit meine ich
etwas schönes,
im sinne des tauhid.
und deshalb
liebe ich auch mohammed.
sallallahu alaihi wa sallam.
damit ich
meinen stift
nicht mit fett beschmiere
esse ich
mit der linken hand.
»Buzz Sawyer hatte gemischte Gefühle, was sein Dasein als muslimischer Dichter anging«, sagte Jehangir.
»Warum?«
»Weil der Prophet Mohammed gesagt hat: ›Es ist besser, dass der Bauch des einen von euch mit Eiter gefüllt wird als mit Versen.‹«
»Aha.«
Während ich mir die Talkshow mit Conan O ’Brien im Fernsehen ansah, fiel mir auf, dass Ramadan war. Das kann man leicht vergessen, wenn man keinen geregelten Tagesablauf hat. Wir fasteten alle, aber ich weiß nicht, ob es zählt, wenn man mittags aufwacht und um vier Uhr
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