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Tatjana

Tatjana

Titel: Tatjana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tathana Cruz Smith
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ländliche Nachtszene dar, und je genauer Schenja hinschaute, desto mehr entdeckte er. Ausgeführt in erregten Pinselstrichen, verwandelten sich die glühenden Scheite einer Feuerstelle in Feuerkobolde. Gefrorene Hemden flogen durch die Luft. Hell erleuchtete Fenster so spät in der Nacht deuteten auf Fröhlichkeit oder Verhängnis, und Schenja verschränkte fröstelnd die Arme.
    Die restlichen Bilder – ein halbes Dutzend – zeigten das Gleiche und waren doch anders. Jedes war dem Anschein nach eine ländliche Darstellung, und jedes stand, bei genauerem Hinsehen, kurz vor der Explosion. Eine Scheune, die gleich zur Zunderbüchse werden würde, ein Schlittschuhläufer unter dem Eis, ein panisch mit den Augen rollendes Pferd.
    »Die haben Sie versteckt?«, fragte Schenja. »Warum?«
    »Eine kühne Frage von jemandem, der zum ersten Mal zu Besuch kommt, aber das gefällt mir.«
    »Also?«
    »Was glaubst du wohl? Um meinen Kopf zu retten. Lotte, würdest du auch ein paar Kekse bringen? Dank dir, Liebes. Du bist so gut zu mir.« An Schenja gewandt fügte er hinzu: »Sie liebt ihren Großvater. So, und jetzt bist du dran. Was wirst du mit deinem Schachbrett machen? Was hast du für Pläne?«
    »Keine besonderen.«
    »Was natürlich bedeutet, gar keine. Lotte sagt, du wärst tatsächlich sehr gut im Schach, ein Rohdiamant. Wie gut bist du?«
    »Einigermaßen.«
    »Bloß einigermaßen? Höchstens zwanzig Spieler der Welt verdienen ihren Lebensunterhalt mit Schach. Bist du einer der zwanzig besten Spieler der Welt?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Du stehst nicht mal auf der Rangliste, weil du nicht bei echten Turnieren spielst. Unsichtbarkeit mag eine schlaue Taktik sein, wenn du im Bahnhof Leute beim Schach abzockst, mein Freund, aber für die Schachwelt existierst du nicht.«
    Lotte kam mit Kleingebäck zurück.
    Sternberg setzte ein Lächeln auf. »Lotte, ich habe deinem Freund gerade die gute Nachricht mitgeteilt. Stalin-Porträts verkaufen sich allmählich wieder.«
    Schenja und Lotte machten noch zehn Minuten lang höfliche Konversation. Währenddessen huschten Schenjas Blicke immer wieder zu den Bildern von verschneiten Dörfern, bäuerlicher Ausgelassenheit und Bärenjungen, die ihren Müttern folgten. Nichts erwärmt das Herz eines Russen mehr als Bären auf einem Baum.
    Später, als Schenja und Lotte allein in einem Café saßen, sagte sie: »Ich mag meinen Großvater sehr. Er ist ein lieber Mann und ein fantastischer Maler. Aber sein Leben damit verbringen, seine Kunst zu leugnen? Jetzt kennt ihn niemand, und es ist zu spät.«
    Maxim fuhr Arkadi im Regen zum Flughafen zurück. Die Scheibenwischer des Zil zischten hin und her. Fußgänger drängten sich unter Schirmen zusammen. Gummistiefel tauchten auf. An Straßenständen breiteten Ladenbesitzer Planen über Obstkisten, einen Tisch mit Prada-Imitationen, eine Reihe Fahrräder.
    »Halten Sie an«, bat Arkadi.
    »Was denn jetzt? Sie werden Ihren Flug verpassen«, protestierte Maxim.
    »Ich bin gleich wieder da.«
    Er trat über den Rinnstein und schlüpfte zwischen dem Wasser hindurch, das zu beiden Seiten der Markise mit der Aufschrift Königs-Fahrräder herablief. Ein Mechaniker in einem Plastiksack stellte Räder um. Ein weiterer, im Dunkeln des Ladens, justierte ein Rad, wirbelte es herum, bis die Speichen verschwammen und summten. Je mehr Maxim ihm bedeutete, sich zu beeilen, desto mehr gab Arkadi das Bild eines Mannes ab, der in aller Ruhe zwischen Wimpeln, Kettenschlössern, Bremsbacken, bunten Fahrradmonturen und noch bunteren Helmen herumkramte.
    Plakate von der Tour de France, dem Giro d’Italia, der Tour St. Petersburg bedeckten die Wände wie ein einziges, fortlaufendes Rennen. Auf einer Anschlagtafel wurden örtliche Rennen von Kaliningrad nach Tschkalowsk, nach Selenogradsk, zur Kurischen Nehrung angekündigt.
    »Das wird zur Manie, nicht wahr?« Arkadi fuhr mit der Hand über ein Regal mit schimmernden Helmen.
    Der Mann mit dem Rad murmelte: »Es füllt das ganze verdammte Leben aus. Man darf nicht zulassen, dass es die Führung übernimmt.«
    »Gut ausgedrückt«, meinte Arkadi. »Machen Sie viele Touren?«
    Sein Freund antwortete: »Wir haben einen Klub, der Fahrräder und Zelte verleiht. Wir sind sehr gesellig. Ich würde Ihnen eine hübsche Tour von Kaliningrad nach Selenogradsk oder Baltijsk vorschlagen. Wir übernachten unterwegs, errichten ein Lagerfeuer, baden im See. Ist eher eine Tour für Erwachsene.«
    Arkadi sah sich die Wimpel an.

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