Tatort Mallorca - Die Tote in der Moenchsbucht
Koffer. Die erste der beiden im Zimmer vorhandenen Türen ist verschlossen, erst die zweite führt in ein kleines Badekabinett, liebevoll mit blauen Kacheln versehen. Auf jeder lacht Ulla ein Mond an. Hübsch, denkt sie und verteilt ihre Toilettenutensilien. Schnell schlüpft sie aus ihren Kleidern und stellt sich unter die Dusche. Dann lässt sie sich in frischen Sachen auf das Bett plumpsen und starrt gegen die perlweiße Zimmerdecke. Langsam ebbt auch die restliche Unruhe in ihr ab. Die Ereignisse des vergangenen Jahres, die für Ulla eine Fülle an Neuigkeiten brachte, die sonst ein ganzes Jahrzehnt füllen könnten, blitzen auf: der Kampf um die Erbschaft ihrer Mutter, das Chaos in den hinterlassenen Aufzeichnungen und schließlich ihr Entschluss, daraus ein Buch zu gestalten. Sie lächelt, als ihr Commissario di Flavio einfällt, der ihr wie ein väterlicher Freund bei den Behördengängen half. Und, nicht zu vergessen, ihre Freundin Julia. Sie war bei der Katalogisierung von unschätzbarem Wert. Ulla wird ganz aufgeregt, als sie sich wieder ihren Plan vor Augen ruft. Für sie steht unverbrüchlich fest: Bald wird sie auf dem geerbten Grundstück in Kalabrien Heilkräuter anbauen.
Im Netz ihrer Gedanken gefangen, erschrickt Ulla, als es an der Tür klopft und Gwens Stimme sie forsch auffordert: „Kommen Sie, Frau Hönig. Der Meister ist jetzt bereit, Sie zu sehen.“
„Ich komme gleich“, ruft sie. Doch statt zur Tür verschwindet sie im Bad, wirft einen Blick in den Spiegel, fährt sich mit dem Kamm durch die Haare und befeuchtet die Lippen. „Auf in den Kampf, Ulla“, sagt sie sich, und ein Lächeln umspielt ihren Mund. Mit einem „Ich bin soweit“ betritt sie den Flur. Gwens Reserviertheit ignorierend, fragt sie: „Haben Sie viel Stress mit dem Kongress? “
„Der Meister wird Ihnen gleich alle Fragen beantworten“, erwidert Gwen, ohne auf Ullas Frage einzugehen. Erneut geht Gwen zügig vor ihr her. Wieder scheint es sie nicht zu kümmern, ob Ulla folgt oder nicht. Als sie den Tisch in der Diele umrunden und Ulla sieht, wie Gwen mit einem Finger darüber fährt, wohl, um zu prüfen, ob Staub gewischt wurde, denkt sie: Oh je, die armen Frauen, die mit ihr zu tun haben. Nicht nur Kühlschrank, schon eher Gefrierschrank. Außerdem fällt ihr jetzt auf, wie mager die Frau ist. Kein Po und kein Busen. Vielleicht ist das ihr Problem?
Sie treten in einen hallenartigen Raum. Im Vorbeigehen versucht Ulla, einen Blick in die Glasvitrinen, die an den Wänden und auch zum Teil im Raum verteilt aufgestellt sind, zu erhaschen. Es gelingt ihr nur bruchstückhaft. In einem der Regale erkennt sie Gegenstände aus Australien: Regentrommeln, Bumerangs und einen Zeitungsartikel mit der Schlagzeile: Die Traumzeiten der Schamanen in Australien . Gern würde Ulla stehen bleiben, die Exponate betrachten, um eine kurze Erklärung bitten. Aber ihr fällt das Schweigegebot auf der Herfahrt ein, und Gwens abweisendes Verhalten ermuntert sie ebenfalls nicht.
Den Meister finden sie in einer Ecke des Raumes. Fast verloren hockt er an einem überdimensionalen runden Tisch, vor sich eine Karaffe mit Wasser und ein Buch. Ihr Buch! Ullas Herz pocht. Wie vorhin zögert sie, ihn mit der Frage „Wie gefällt es Ihnen?“ zu überfallen. Obwohl sie am liebsten gleich damit rausplatzen würde. Stattdessen registriert Ulla, dass kein weiteres Glas neben der Wasserkaraffe steht. Sie schlussfolgert daraus, dass Gwen bislang nicht mit dem Meister zusammen am Tisch gesessen haben kann.
„Bitte nehmen Sie Platz, Ulla“, bedeutet ihr Hetyei und weist auf den Stuhl neben dem seinen. Verwirrt erfasst sie, dass er sich nicht erhebt. Gwen fingert aus der in der Nähe befindlichen halbhohen Anrichte zwei Gläser heraus und stellt eines vor Ulla. Als sie das andere ebenfalls absetzen will, wehrt Hetyei mit einer vagen Handbewegung ab.
Gwen behält das Glas in der Hand und entfernt sich mit den Worten: „Wir sehen uns beim Kongress, auf Wiedersehen, Frau Hönig.“ Die Mundwinkel ihres wohlgeformten Mundes verziehen sich hässlich nach unten. Irgendwie tut sie Ulla in diesem Moment sogar leid.
Ulla bleibt allein mit dem Meister zurück.
Kapitel 4 – Später am Tag
„Gwen, die Gruppe Schambala macht Schwierigkeiten! Mein Gott, wie ich diese Organisationsarbeit hasse. Es ist immer das Gleiche: Alle wollen eine Sonderbehandlung, besonders diese Margo. Warum fastet die Gruppe nicht vor der Séance morgen wie wir?“
Gwen betrachtet
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