Tatort Mallorca - Die Tote in der Moenchsbucht
bestimmt?“
Gwen stockt der Atem. Bevor sie lautstark protestieren kann, hört sie Margo in einer anderen Stimme als ihrer normalen verkünden: „Ich habe von ihr geträumt. Sie ist auserwählt, sich einem Heiler anzuvertrauen, um bald ihren Weg zu finden.“
Margo lehnt am Fenster, den Blick auf das Meer gerichtet. Gwen durchfährt es eiskalt. Sie will diesen Gedanken nicht denken. Doch er ankert in ihr. Er schmeckt bitter und hinterlässt einen schalen Geschmack auf der Zunge. Trotzdem muss sie ihn schlucken. Er windet sich unangenehm in ihrem Magen und durch ihre Gedärme. Will der Meister diese Person etwa in die Gemeinschaft aufnehmen? Und wird es der Meister sein, der Ulla einführt? Das ist unmöglich. Unvorstellbar.
Gwen hat Mühe, ihre Fassung zu wahren und ruhig zu antworten. „Ich denke nicht, dass der Meister irgendetwas in dieser Form vorhat. Frau Hönig ist lediglich an unserer Arbeit interessiert. Sie beabsichtigt, ein ähnliches Projekt in Süditalien aufzuziehen.“
„Aha, nun denn.“ Margos Stimme klingt wieder normal und geschäftsmäßig, als sie sich umdreht und sagt: „Okay, Gwen, ich gebe dir Bescheid, was meine Gruppe entscheidet. Wir sehen uns.“
Gwen flieht aus dem Zimmer. Es wäre nicht gut, wenn Margo ihre Gedanken erspüren würde. Draußen atmet sie auf und weiß, dass sie keine Minute länger Margos Aura hätte ertragen können. Was weiß Margo? Hat der Meister ohne ihr Wissen Margo getroffen und sie über Interna informiert?
Endlich erreicht Gwen ihr Zimmer. Sie verriegelt die Tür von innen. Hastig gießt sie sich ein Glas Wasser ein. Als sie die fast leere Plastikflasche auf den Schreibtisch zurücksetzt, drücken ihre Finger sie vehement zusammen. Das Plastik gibt einen knatternden Ton von sich und zersplittert. Ihr Finger blutet, und sie steckt ihn in den Mund. Im Badezimmer tupft sie eine Tinktur darauf, um die Blutung zu stoppen. Während sie wartet, schaut sie in den Spiegel. Ihre blauen Augen leuchten ihr wie Eiskristalle entgegen. Sie erschrickt vor sich selbst.
Für einen Moment schließt sie die Augen. Betet sich vor: „Ich muss mich besser in die Gewalt bekommen. Ich muss mich besser ...“
Beim nächsten Blick in den Spiegel übt sie tapfer ihr Lächeln. Nach einer Weile klappt es, sie kann sich dahinter verstecken. Einigermaßen zufrieden verlässt sie das Bad und legt sich auf das Bett. Sie versucht den Atem ruhig fließen zu lassen, aber es gelingt ihr nicht. Sie wird noch warten. In dieser Verfassung ist es ihr unmöglich, die bereits angereisten Tagungsteilnehmer zu begrüßen. Vielleicht etwas später. Rebekka wird sicher für sie einspringen.
Sie fühlt sich ausgepumpt. Einmal mehr melden sich Zweifel, und sie fragt sich, wie so oft schon, warum ihr die Gabe des Traumes und der Vorhersehung verwehrt bleibt. Warum hilft ihr der Meister nicht, die Riten zu praktizieren, obwohl es für ihn ein Leichtes wäre? Er vertröstet sie ein ums andere Mal mit den Worten „Gwen, du kannst dir nur selbst helfen. Mach dich frei! Dann wirst du deinen Weg finden.“
Als wenn dies so einfach wäre. Ein Meer dunkler Gedanken treibt Gwen Tränen in die Augen. Wenn es ihr gelingen würde, eine Trance zu erreichen, dann würde sie es auch schaffen, ihre anderen Blockaden zu überwinden, und auch ihr Trauma würde sich auflösen. Gwen zählt zusammen, was sie bisher schon alles hinter sich gebracht hat. Alle Halluzinationsmittel, die bekannten und die unbekannten, die ungefährlichen und die gefährlichen hat sie probiert. Eines kostete sie fast das Leben, nur ein Gegenmittel rettete sie zur rechten Zeit. Andere verursachten furchtbare Bauchschmerzen, Kotzorgien und Durchfälle und brachten doch keinen Erfolg. Der Medizinmann der Schoschonen, den sie letztes Jahr aufsuchte, schüttelte am Schluss nur mitleidig den Kopf. „Du bist noch nicht bereit. Warte!“ Der Kurs im brasilianischen Urwald verbesserte zwar ihre Trommeltechnik, aber ansonsten? Warum lief alles schief, auch die Therapien schlugen nicht an. Sie kann es sich nicht erklären. Viel dümmere Menschen werden auserwählt, warum sie nicht? Sogar die vollbusige Schlampe soll Schamanin werden, meint Margo. Einfach so. Es ist so ungerecht. Erneut schießen Tränen in ihre Augen, und sie schnieft voller Selbstmitleid eine Weile vor sich hin, bis trotzige Wut sie aufstehen lässt. Sie ballt die Hand zur Faust und läuft unruhig auf und ab, bis sie ihr T-Shirt abstreift und sich die Mullbinden vom Leib zerrt. Als
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