Tausend strahlende Sonnen
dem Weg in sein Büro fragte er die drei nach ihren Namen und erkundigte sich nach Azizas Alter. Sie gingen durch einen spärlich beleuchteten Korridor. Barfüßige Kinder traten zur Seite, um Platz zu machen, und schauten ihnen nach. Denen, die nicht kahlgeschoren waren, standen die Haare zu Berge. Sie trugen Pullover mit durchgescheuerten Ärmeln, Jeans, die an den Knien aufgerissen waren, und mit Klebestreifen geflickte Mäntel. Es roch nach Ammoniak und Urin, Seife und Talkum. Aziza war so verschreckt, dass sie zu wimmern begann.
Durch eine Tür warf Laila einen Blick auf den Hof, ein erbärmliches Geviert mit einer klapprigen Schaukel, alten Autoreifen und einem Basketball, dem die Luft ausgegangen war. In den Räumen, an denen sie vorbeikamen, waren die Fenster mit Plastikfolie verklebt. Ein kleiner Junge kam aus einem dieser Zimmer herbeigerannt, packte Laila beim Ellbogen und versuchte, auf ihren Arm zu klettern. Ein Betreuer, der gerade wegwischte, was wie eine Urinpfütze aussah, stellte seinen Mob ab und befreite Laila von dem Kleinen.
Zaman schien den Waisenkindern wohlgesinnt zu sein. Er tätschelte sie im Vorbeigehen, richtete ein paar freundliche Worte an sie und fuhr ihnen mit der Hand durchs Haar, ohne dass er dabei herablassend gewirkt hätte. Den Kindern gefiel sein Zuspruch. Alle blickten hoffnungsvoll zu ihm auf.
Er zeigte den Frauen sein Büro, einen Raum, in dem nur drei Klappstühle standen und ein unaufgeräumter Schreibtisch, auf dem sich Akten stapelten.
»Sie sind aus Herat, nicht wahr?«, sagte er zu Mariam. »Das hört man an Ihrem Akzent.«
Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, faltete die Hände über dem Bauch und erwähnte, dass einer seiner Schwäger dort gelebt habe. Auf Laila machte Zaman einen angestrengten Eindruck; selbst kleinste Gesten schienen ihn Kraft zu kosten. Obwohl er freundlich lächelte, meinte sie deutlich spüren zu können, dass ihn große Sorgen plagten. Es schien, als versuchte er manche Enttäuschung und Niederlage mit einer aufgesetzt heiteren Miene zu vertuschen.
»Er war Glasbläser«, sagte er, »und machte diese wunderschönen jadegrünen Schwäne. Wenn man sie in die Sonne hält, funkeln sie im Innern, und es scheint, als steckten in dem Glas viele winzig kleine Edelsteinsplitter. Waren Sie mal wieder in der Heimat?«
Mariam verneinte.
»Ich selbst stamme aus Kandahar. Sind Sie schon einmal dort gewesen, hamshira ? Nein? Eine herrliche Stadt. Diese Gärten! Und die Weintrauben erst, ja, das sind Trauben! Sie verzaubern den Gaumen.«
Einige Kinder hatten sich draußen im Flur versammelt und lugten zur Tür herein. Zaman verscheuchte sie mit ein paar liebevollen Worten auf Paschto.
»Herat ist natürlich auch wunderschön. Die Stadt der Künstler und Schriftsteller, Sufis und Mystiker. Vielleicht kennen Sie den alten Spruch, wonach man in Herat kein Bein ausstrecken kann, ohne dabei einem Dichter in den Hintern zu treten.«
Aziza kicherte.
Zaman schnappte künstlich nach Luft. »Oh, mir scheint, ich habe dich zum Lachen gebracht, kleine hamshira . Das ist für gewöhnlich gar nicht so einfach, und ich habe mir schon überlegt, wie ich’s anstellen könnte, und daran gedacht, wie ein Huhn zu gackern oder wie ein Esel zu schreien. Aber es geht ja auch so. Und wie schön du bist, wenn du lachst.«
Er rief einen Betreuer und bat ihn, mit Aziza eine Weile nach draußen zu gehen. Aziza sprang auf Mariams Schoß und klammerte sich an ihr fest.
»Wir wollen uns nur ein bisschen unterhalten, meine Liebe«, versuchte Laila zu beschwichtigen. »Ich bin die ganze Zeit hier. In Ordnung? Ich bin hier.«
»Komm, wir gehen für eine Minute nach draußen, Aziza jo «, sagte Mariam. »Deine Mutter hat mit Kaka Zaman noch einiges zu besprechen. Nur für eine Minute. Komm jetzt.«
Als sie allein waren, wollte Zaman Azizas Geburtsdatum wissen, welche Kinderkrankheiten sie gehabt hatte und ob sie gegen irgendetwas allergisch war. Er erkundigte sich nach Azizas Vater, und Laila hatte bei ihrer Antwort das seltsame Gefühl, eine Lüge vorzutragen, die im Grunde der Wahrheit entsprach. Zaman hörte zu, und seine Miene verriet keinerlei Zweifel. Er leite das Waisenhaus ehrenamtlich, sagte er. Wenn eine hamshira sage, dass ihr Mann tot sei und sie nicht allein für ihre Kinder sorgen könne, werde er das nicht in Frage stellen.
Laila fing zu weinen an.
Zaman legte seinen Stift ab.
»Ich schäme mich so«, schluchzte Laila und presste eine Hand auf den
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