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Tausend strahlende Sonnen

Tausend strahlende Sonnen

Titel: Tausend strahlende Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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erwünschten kühlen Brise nur Stechmücken kamen. Sie spürte, wie die Hitze draußen vom Boden aufstieg, die Außenmauer hinaufkroch und mit den faulen Gerüchen des Abtritts in ihr Zimmer drang.
    Normalerweise hatten sich die Streitereien nach wenigen Minuten erschöpft, doch jetzt war schon über eine halbe Stunde vergangen, und die Wut eskalierte. Mariam hörte Raschid aus vollem Hals brüllen. Die Stimme des Mädchens klang ängstlich und schrill. Bald fing auch das Baby zu schreien an.
    Dann hörte Mariam, dass die Schlafzimmertür mit Wucht aufgestoßen wurde – am nächsten Morgen sollte sie eine tiefe Delle vorfinden, mit der sich der Türknauf in der Wand abgebildet hatte. Sie saß bereits aufrecht im Bett, als ihre eigene Tür aufflog und Raschid hereingestürmt kam.
    Er trug weiße Unterwäsche mit dunklen Schweißflecken unter den Achseln. Seine Füße steckten in Gummilatschen. Er hielt den braunen Gürtel in der Hand, den er sich zur nikka gekauft hatte. Das gelochte Ende war um seine Faust gewickelt.
    »Du steckst dahinter. Hab ich’s mir doch gedacht«, knurrte er und rückte näher.
    Mariam schlüpfte aus dem Bett und wich zurück, die Arme schützend vor der Brust, weil er dort immer zuerst hinschlug.
    »Wovon redest du?«, stammelte sie.
    »Von ihrer Ablehnung. Das hat sie von dir.«
    Mit den Jahren hatte Mariam gelernt, sich gegen seine Wutausbrüche und Vorwürfe, seine Verhöhnungen und Zurechtweisungen abzuhärten. Aber die Furcht vor ihm war geblieben. Selbst nach all den Jahren zitterte sie vor Angst, wenn er so vor ihr stand, mit hasserfülltem Gesicht, den Gürtel um die Faust geschlungen und die geröteten Augen voller Boshaftigkeit. Es war die Angst einer Ziege, eingesperrt in einem Tigerkäfig, wenn der Tiger seinen Kopf von den Tatzen erhebt und zu knurren anfängt.
    Jetzt kam auch das Mädchen ins Zimmer, die Augen weit aufgerissen und die Hände ringend.
    »Ich hätte wissen müssen, dass du sie gegen mich aufhetzt«, spuckte Raschid aus. Er hob den Gürtel und ließ ihn auf den eigenen Schenkel klatschen. Die Schnalle klirrte.
    »Hör auf, bas !«, sagte das Mädchen. »Lass das, Raschid.«
    »Verschwinde.«
    Mariam wich weiter zurück.
    »Nein! Tu’s nicht!«
    »Ich werd’s dir zeigen.«
    Wieder hob er den Gürtel und holte zum Schlag gegen Mariam aus.
    Und dann geschah etwas Erstaunliches: Das Mädchen fiel über ihn her. Mit beiden Händen packte sie seinen Arm und hängte ihr ganzes Gewicht daran, um ihn nach unten zu zwingen, was ihr aber nicht gelang. Immerhin schaffte sie es, den Schlag zu verhindern.
    »Lass los!«, brüllte Raschid.
    »Du hast gewonnen. Du hast gewonnen. Tu es nicht. Bitte, Raschid, schlag sie nicht. Bitte nicht.«
    So rangen die beiden miteinander. Das Mädchen hielt seinen Arm umklammert und flehte ihn an, während Raschid sie abzuschütteln versuchte, ohne Mariam aus den Augen zu lassen, die wie gelähmt vor ihm stand.
    Am Ende wusste Mariam, dass es keine Schläge geben würde, nicht in dieser Nacht. Er hatte sich auch so durchgesetzt. Seine Brust ging keuchend auf und ab, und auf der Stirn hatte sich Schweiß gebildet. Langsam senkte er den Arm. Die Füße des Mädchens berührten den Boden. Es schien ihm nicht zu trauen und hielt sich an Raschid fest. Er musste seinen Arm mit Gewalt losreißen.
    »Sieh dich vor!«, sagte er und warf den Gürtel über die Schulter. »Seht euch beide vor! Ich lasse mich nicht zum ahmaq machen, zum Narren in meinem eigenen Haus.«
    Er schleuderte Mariam einen letzten harten Blick zu und stieß das Mädchen nach draußen.
    Als die Tür ins Schloss gefallen war, stieg Mariam ins Bett zurück, vergrub ihr Gesicht im Kissen und wartete darauf, dass das Zittern aufhörte.
    Dreimal wurde Mariam in dieser Nacht aus dem Schlaf gerissen. Zuerst waren es die Raketen im Westen, abgefeuert in der Gegend um Karteh-Char. Dann wurde sie vom Schreien des Säuglings, den Beruhigungsversuchen des Mädchens und dem Klappern eines Löffels an der Milchflasche geweckt. Schließlich war es der Durst, der sie aus dem Bett holte.
    Das Wohnzimmer war dunkel bis auf einen Mondstrahl, der durchs Fenster fiel. Mariam hörte irgendwo eine Fliege summen, sah die Umrisse des gusseisernen Ofens in der Ecke, dessen Rohr knapp unter der Decke rechtwinklig abgebogen war.
    Auf dem Weg in die Küche stolperte Mariam über ein Hindernis am Boden. Als sie den Blick darauf richtete, erkannte sie das Mädchen, ausgestreckt auf einer Steppdecke, den

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