Tausendundeine Nacht - Erwachsene Märchen aus 1001 Nacht
Tag oder bei Nacht von seiner Seite zu weichen, bis endlich der Vezier eines Morgens kam und ihm vorstellte, daß sein ganzes Heer und sein Volk über seine Zurückgezogenheit zu murren anfange. »Meine Meinung ist daher«, fuhr er fort, »den Prinzen nach dem inneren Schlosse mit Aussicht auf das Meer zu bringen und zwei Tage in der Woche den Regierungsangelegenheiten zu widmen. Die übrigen Tage bringst du dann bei deinem Sohne zu, bis Gott helfen wird.« Der König Schah Seman billigte diesen Rat, begab sich zu dem Prinzen in das innere Schloß, das mitten im Meere lag, zu welchem ein 500 Ellen langer Damm führte. Das Schloß hatte 40 Fenster nach dem Meere hin, der Boden war mit farbigem Marmor gepflastert, in die Wände waren die kostbarsten Steine eingelegt, die Decke war mit den verschiedenartigsten Malereien geschmückt, Es war mit seidenen Teppichen, Ruhebetten, Vorhängen und Polstern versehen. Der König verließ den Prinzen nur an den beiden Tagen, welche für die Besorgung der Staatsgeschäfte bestimmt waren. Die übrige Zeit brachte er an dem Bette Kamr essamans zu, der wenig aß und schlief und bald sehr mager und blaß wurde.
So viel, was Kamr essaman angeht. Was die Prinzessin Bedur betrifft, so hatten die Genien sie wieder in ihren Palast zurückgebracht und aufs Bett gelegt. Am Morgen beim Erwachen setzte sich die Prinzessin aufrecht und blickte rechts und links; als sie aber ihren Geliebten nicht fand, geriet sie in die äußerste Unruhe und rief ihren Sklavinnen mit so lauter Stimme, daß diese schleunig herbeiliefen und ihr Bett umgaben. Die älteste von ihnen näherte sich und fragte:
»Meine Gebieterin, was ist dir geschehen?« – »Sage mir«, sprach die Prinzessin, »wo ist der Jüngling hingekommen, den ich von ganzem Herzen liebe, mit schwarzen Augen und zusammenlaufenden Augenbrauen?« – »Gebieterin!« antwortete die Alte in höchstem Erstaunen, »was soll diese Rede bedeuten?« – »Wisset«, fuhr die Prinzessin fort, »ein schöner Jüngling hat diese Nacht bei mir geschlafen, und ich habe ihn vom Abend bis zum Morgen in meinen Armen gehalten.« – »Bei Gott! meine Herrin«, versetzte die Sklavin, »du willst uns sicherlich nur zum besten haben. Aber spaße nicht: denn nach Mutwillen und Scherz kommt der Tod. Ich bin ein altes Weib und stehe am Rande des Grabes; soll ich noch vor der Zeit sterben?« – »Du verdammte Alte«, erwiderte Bedur; »du willst meiner spotten.«
Die Prinzessin fiel hierauf über die Alte her, warf sie zu Boden und schlug sie, bis sie in Ohnmacht fiel. Als sie wieder zu sich kam, begab sie sich zu der Mutter der Prinzessin und erzählte ihr, was sich zwischen ihr und der Prinzessin zugetragen. Dann fuhr sie fort: »Eile zu deiner Tochter, denn sie ist von Sinnen.« Die Königin eilte zur Prinzessin. Nachdem sie sich gegenseitig begrüßt hatten, ließ sich die Königin neben ihrer Tochter auf den Divan nieder und erkundigte sich nach ihrem Befinden und nach dem Sinne ihrer an die Sklavin gerichteten Worte. »O meine Mutter«, antwortete die Prinzessin, »du willst mich auch verspotten; aber ich erkläre, daß ich eher keine Ruhe haben werde, als bis der liebenswürdige Jüngling, der die verflossene Nacht bei mir geschlafen hat, mein Gemahl ist.« Zugleich sprach sie folgende Verse eines Dichters:
»Ach, wie wunderbar war seine Schönheit! und doch ist seine Schönheit nur ein geringer Teil seiner Eigenschaften. In allen seinen Bewegungen liegt ein Zauber.«
»Wenn jemand zu dem Monde sagte: Rühme dich! so würde er sprechen: Ich verdanke meinen Glanz den Tulpen seiner Wangen.«
»Wie der Punkt im Buchstaben, so entsage ich ihm doch nicht, möge ihm Gott auch diese als Tugenden anrechnen.«
»Ich hörte nicht auf, von der Zeit zu fordern, daß sie mich mit ihm vereinige, und er in meine Nähe komme; allein sich fern zu halten, scheint ihm eigen zu sein.«
»Ich verzieh dem Schicksal all seine Ungerechtigkeit, als es ihn zu mir führte, und warf einen Schleier über all seine Unbilden.«
»In fester Umarmung haben wir die Nacht zugebracht: trunken war er von meinen Liebkosungen und ich von dem Becher seines Mundes.«
»Ich drückte ihn fest an mich, wie ein Geiziger seinen Reichtum hält, aus Furcht, es möchte mir eine von seinen Schönheiten geraubt werden.«
»Ich hielt ihn in meinen Armen, als wäre er eine Gazelle, von der ich besorgte, sie möchte mir entfliehen.«
»Wehe dir, meine Tochter!« erwiderte die Königin, »was sollen diese
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