Taylor Jackson 02 - Der Schneewittchenmörder
Bürgerkrieg gekämpft hatten. LeRoy Reeves vom Dritten Regiment der Infanterie hatte die Flagge entworfen. Der purpurfarbene Stoff mit den drei weißen Sternen passte gut zu dem Blut und den Knochen am Fuße des Fahnenmastes.
Es war ein schönes Bild – wenn man Postkarten aus der Hölle mochte. Das vierte Motiv dieser Art, seitdem der Schneewittchenmörder unter seinem verdammten Stein hervorgekrochen war und wieder angefangen hatte zu töten.
Taylor sah an den Flaggen vorbei, am Leichnam. Eingerahmt von einer verzierten Eisenbahnbrücke schaute man direkt einen perfekt manikürten, beleuchteten Hügel hinauf, auf dem der neoklassizistische Bau des Capitols majestätisch in der Dunkelheit erstrahlte. Ihre Stadt. Ihre Verantwortung. Taylor wandte sich um und setzte ihren Weg fort.
Ihr Mörder ging nicht besonders raffiniert vor, wenn es darum ging, Aufmerksamkeit zu erregen. Der Schauplatz lag nur zwei Häuserblöcke von Channel 4 und vier verschiedenen Polizeidienststellen entfernt. Auf beiden Seiten der Mall gab es Kreisverkehre, die eine einfache Möglichkeit boten, schnell hier hineinzuschlüpfen, die Leiche abzulegen, und direkt weiter zum James Robertson Parkway zu fahren. Taylor war verwundert, dass die örtliche CBS-Zweigstelle noch nicht vor Ort war.
Eine Schneeflocke tanzte vor ihren Augen, bezaubernd in ihrer zerbrechlichen, kristallinen Schönheit. Wie etwas so Schönes so viel Unheil anrichten konnte – das Wetter wurde immer schlimmer. Die Vorhersage sprach von mindestens dreißig Zentimetern Neuschnee in den tieferen Lagen und bis zu vierzig Zentimetern auf dem Plateau. Der Verkehrsinfarkt war vorprogrammiert.
Um alldem die Krone aufzusetzen, wurde Taylor in einhundertzwanzig Stunden, oder fünf kurzen Tagen, in der St.-George’s-Kirche erwartet. Zu ihrer Hochzeit.
Taylor atmete tief ein und kehrte zu der Toten zurück. Sie schob den Ärmel hoch und schaute auf ihre Uhr. Die Rechtsmedizin sollte eigentlich schon längst da sein. Sie war mehr als bereit, die Leiche wegbringen zu lassen. Aus der Kälte zu kommen. Vor ihrem großen Tag noch ein paar Stunden Schlaf zu kriegen. Zu tun, was immer auch getan werden musste, damit die Hochzeit so vonstattenging wie geplant. Eine kleine Stimme meldete sich in ihrem Hinterkopf. Es wäre nicht das Ende der Welt, wenn wir den Termin aufschieben müssten. Wie zum Teufel sollen wir heiraten und in die Flitterwochen fahren, wenn wir mitten in einem wichtigen Mordfall stecken?
Auf der Hauptstraße fuhr ein Übertragungswagen vorbei, leise wie ein Hai. Taylor nahm an, dass sie einen Platz suchten, von wo aus sie einen guten Überblick über die Szene hatten. Vermutlich würden sie hinten herum über den James Robertson Parkway fahren und sich hoch zur Charlotte und Sixth schleichen. Mist. Zeit, dass Bewegung in die Sache kam.
Zitternd vor Kälte griff sie in ihre Manteltasche und holte ihr Handy hervor. Als sie es aufklappte, näherte sich ein weißer Van mit dezenter Beschriftung. Die Rechtsmedizin. Endlich.
Taylor klappte das Telefon wieder zu und ging quer über den Rasen auf den Van zu, wobei sie den schön angelegten Weg, den sie eigentlich benutzen sollte, absichtlich ignorierte. Sie trat an die Fahrertür und bedeutete der Fahrerin, das Fenster herunterzulassen. Die Rechtsmedizinerin Dr. Samantha Loughley tat, wie ihr geheißen, und Taylor schob ihren Kopf in das warme Innere des Wagens. Welch eine Wohltat.
„Taylor, geh mir aus dem Weg.“ Sam legte ihre Hand unter Taylors Kinn und schob ihren Kopf wieder aus dem Fenster. Dann stellte sie den Motor ab, öffnete die Tür und stieg aus. In schwarzer Fleecejacke, gefütterten Stiefeln und pinkfarbenen Ohrwärmern war sie für das Wetter perfekt angezogen. Sie nickte kurz.
„Okay, wo ist sie?“
„Auf dem Fahnenpodest. Du solltest dir vorher wirklich einen Moment nehmen, den Weg hinaufgehen und dir das Ganze von dort ansehen. Es ist wirklich hübsch.“ Taylor lächelte.
„Du Ghul. Irgendeine Ahnung, wer sie sein könnte?“
„Nein. Sie ist nackt, keine Anzeichen von Kleidung oder Handtasche. Meinst du, es wird so stark schneien, wie sie vorhergesagt haben?“
„Ich hab gehört, heute Nacht sollen wir dreißig Zentimeter bekommen. Oder mehr.“ Sam zwinkerte Taylor zu und machte sich auf den Weg zur Toten. Taylor folgte ihr. Bilder von geschlossenen Flughäfen, in Gräben feststeckenden Schneepflügen und Cateringunternehmen ohne Strom schossen durch ihren Kopf wie betrunkene Mäuse. Sie
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