Taylor Jackson 02 - Der Schneewittchenmörder
nun auch. Eine Falte zeigte sich auf seiner jungen Stirn. Obwohl er noch kaum ein Mann war, verstand er dennoch, was das zu bedeuten hatte. Er schenkte Baldwin ein halbherziges Grinsen, das sagte: „Hey, Sie können mir nicht verübeln, es wenigstens versucht zu haben.“ Dann schüttelte er Taylor die Hand und zwinkerte ihr noch einmal zu, bevor er sie Baldwin überließ. Der begrüßte sie mit einem Lächeln.
„Ich glaube, das lief ganz gut.“
„So gut es eben ging, schätze ich.“
„Und wie geht es dir? Wegen deines Vaters, meine ich.“
„Mir geht es gut, wieso auch nicht?“ Sie schenkte ihm einen Blick, der eindeutig besagte, dass es ihr nicht gut damit ging, sie aber nicht gewillt war, daraus eine große Sache zu machen. Er legte einen Arm um ihre Schultern und drückte sie an sich, dann hielt er ihr die Tür auf.
Sie verließen das Gebäude und gingen zum Parkplatz. Baldwin spürte den Schauer, der dank der kalten, schneeigen Nachtluft Taylors Rücken überlief. Die Studios von Channel 17 lagen hinter dem öffentlichen Ted-Rhodes-Golfplatz in der nordwestlichen Ecke von Nashvilles Zentrum. Dunkel und einsam war es hier; ein Gefühl des Unbehagens überfiel sie beide. Er wusste, was sie dachte.
Vier tote Mädchen während ihrer Schichten. Eine Nation, die jeden ihrer Schritte sehr genau verfolgte. Und ein skrupelloser Mörder, der zu viel Spaß daran hatte, mit ihren Detectives zu spielen. Das waren keine Zutaten für ein fröhliches Weihnachten.
Sie erreichten seinen BMW, und er ließ seinen Arm zu ihrer Hüfte gleiten. Dann drückte er den Knopf auf dem Schlüssel. Öffnete ihr die Tür. Beugte sich vor, als sie auf dem weichen Leder Platz nahm, und fuhr mit seiner Hand über ihre Wange.
„Wir werden ihn fassen. Ich schwöre dir, wir kriegen ihn.“
„Ich weiß“, erwiderte sie. „Ich weiß.“
3. KAPITEL
Nashville, Tennessee
Montag, 15. Dezember
23:00 Uhr
Baldwin ließ sie am Büro raus, damit sie die losen Enden des Tages zusammenbinden und ihren Truck mit nach Hause nehmen konnte. Sie gähnte, als sie das Licht im Büro anschaltete. Das Mordbuch lag auf ihrem Schreibtisch, die einzelnen Abschnitte sorgfältig mit Reitern gekennzeichnet: Tatortfotos, Beweise, Protokolle und Berichte der verschiedenen Officer, die am Tatort gewesen waren. In der eisigen Kälte der letzten Nacht hatten sie drei Stunden gebraucht, um den Tatort an der Bicentennial Mall aufzuräumen. Wobei der konstant fallende Schnee keine große Hilfe gewesen war. Aber sie waren kein Risiko eingegangen: Jeder noch so kleine Beweis war aufgesammelt, eingetütet und beschriftet worden.
Eine schnelle Überprüfung ihrer E-Mails zeigte nichts, was nicht bis zum Morgen warten konnte. Sie rang einen Moment mit sich. Sollte sie die Fallakte jetzt noch einmal durchlesen oder nach Hause gehen und versuchen, etwas Schlaf zu bekommen? Der Gedanke an ein warmes Bett, einen warmen Körper neben sich, war zu verlockend. Taylor schnappte sich das Mordbuch und verließ das Büro.
Die Fahrt nach Hause war gruselig. Die Luft klirrte in der eisigen Brise. Schnee fiel in Schwaden vom Himmel; sie fühlte sich, als wenn sie direkt durch die Wolken führe. Es waren nur wenige Autos auf den Straßen, und der mangelnde Verkehr ließ Taylor sich einsam fühlen. Seitdem der Schneewittchenfall aufgekommen war, hatte sie keine Zeit gehabt, einen klaren Kopf zu bekommen. Zwei Monate mit toten Mädchen, angespannter Erwartung, Rückschlägen und falschen Spuren. Der Nervenkitzel der Jagd.
Dieser Gedanke ernüchterte sie. Das Mädchen, das letzte Nacht in einen Leichensack gesteckt und weggefahren worden war, um obduziert zu werden, hatte den Nervenkitzel des Gejagtwerdens sicher nicht genossen.
Der Schnitt über der Kehle des Mädchens stieg vor Taylors Augen auf, und beinahe hätte sie ihre Abfahrt verpasst. Ohne nachzudenken, trat sie hart auf die Bremse, doch der nasse, glatte Schnee weigerte sich, ihr zu helfen. Sie musste hart arbeiten, um das Auto wieder auf die Spur zu bringen. Als sie die Kontrolle zurückerlangte und die Ausfahrt hinunterfuhr, rauschte ihr das Blut in den Ohren. Ihr Gehirn weigerte sich, sich zu beruhigen. Die Bilder vom Tatort kamen ihr wieder in den Kopf, und sie machte genau das, was sie hatte vermeiden wollen – sie dachte über den Fall nach. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie erst nach dem Anhalten merkte, wohin sie gefahren war. Zu ihrem alten Haus.
Kopfschüttelnd lachte sie darüber. Es war nur
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