Tekhnotma - Zeit der Dunkelheit: Roman (German Edition)
Himmelsgängern.«
»Zu den Fliegern… Warum das?«
Was hätte ich ihr antworten können? Dass ich in Wirklichkeit nicht von dieser Welt war, dass ich dort, wo ich herstammte, früher große metallene Avietten gesteuert hatte? Solche, die enorme Geschwindigkeiten erreichen konnten? Dass ich an den Himmel gewöhnt war und wieder hinauf musste? Wie hätte ich ihr erklären sollen, dass es noch um etwas anderes ging als nur um die Himmelsgänger. Auch an ihrer Seite würde ich wieder nur ein Rädchen in einem fremden System sein. Dagegen würde es mir die Reise durch diese seltsame Welt vielleicht ermöglichen, eine neue Rolle für mich zu finden.
Oder mich selbst zu finden?
Sie würde mich nicht verstehen. Deshalb erzählte ich ihr, dass die Himmelsgänger eine vage Erinnerung in mir wachriefen, dass ich möglicherweise einmal mit ihnen zu tun gehabt hatte und deshalb in den Bienenstock musste.
Ich verließ Arsamas einige Tage später. Zuvor befragte ich noch etliche Leute aus Timerlans Umgebung nach der Tätowierung. Erst konnte ich nichts in Erfahrung bringen, aber als ich mich mit Timerlans Arzt unterhielt, bemerkte ich, dass der Mann nervös war und meinen Blick nicht standhalten konnte. Ich trieb ihn solange in die Enge, bis er mir schließlich erzählte, dass Juna Galo in Wirklichkeit nicht Timerlans Tochter war. Zumindest nicht seine leibliche Tochter. Eine Tatsache, an die sich nach den Worten des Arztes kaum noch jemand erinnerte. Timerlan hatte Juna in der Ebene östlich der Stadt gefunden. Damals hatte es dort noch keine Nekrose gegeben. Das etwa fünf Jahre alte Mädchen hatte seltsame Dinge geredet und viel geweint.
Der Arzt erinnerte sich sogar an einige ihrer Worte.
Auf die Frage, wie sie heiße, hatte das Mädchen »Julia« geantwortet. Aber dieser Name war mit der Zeit ganz von selbst zu Juna geworden, was den Menschen des Ödlands geläufiger war.
Timerlan hatte keine leiblichen Kinder. Seine Frau war mehrere Saisons zuvor gestorben und deshalb beschloss er, das Mädchen zu adoptieren. Mit der Zeit hatte Juna vergessen, wie sie nach Arsamas gelangt war, und das Oberhaupt der Korporation hatte befohlen, ihr nichts von ihrer Herkunft zu erzählen.
So erfuhr ich wenigstens mit Sicherheit, dass Juna Galo auf demselben Weg wie ich hierhergelangt war. Nach den Worten des Arztes erinnerte sie sich noch an einen Saal mit einem runden Podest, mit Fenstern oben an der Decke, an eine Liege mit Gurten und eine Explosion. Diese Explosion hatte sie immer besonders geängstigt.
Ich erzählte Juna nichts von dem, was ich erfahren hatte. Sie trauerte aufrichtig um ihren Vater und sie hielt sich aus tiefstem Herzen für die rechtmäßige Nachfolgerin des Oberhaupts des Mecha-Korpus. In dieser Welt, die mir wie ein wiederauferstandenes Mittelalter vorkam, war das Vererben von Titeln und Funktionen an der Tagesordnung.
Juna zwang den stöhnenden Schatzmeister, mir eine ordentliche Summe Gold und Silber auszuzahlen und befahl ihrem Werkstattleiter, mir alle Fahrzeuge zu zeigen und mich eines auswählen zu lassen.
Die Stadt kehrte allmählich zum normalen Leben zurück. Nach und nach zogen die Menschen wieder in die von der Nekrose befreiten Viertel ein. Allerdings ging dort etwas Merkwürdiges vor sich: Wo wir die Nekrose zerstört hatten, gab es weder Insekten noch kleine Kriechtiere, keine Würmer, ja nicht einmal mehr Ratten. Außerdem gab es Probleme mit der Elektrizität, Akkus entluden sich von selbst, Teig ging nicht mehr auf, Bier wurde schnell sauer und nachts waren seltsame Geräusche zu hören.
Juna und ich verabschiedeten uns vor den Toren des Forts. Zwei riesige Kerle aus ihrer Leibwache standen nicht weit von uns und starrten mich misstrauisch an, als ob sie fürchteten, dass ich ihre Herrin um die Taille packen, in mein Fahrzeug schieben und mit ihr abhauen könnte. Juna sagte, ich könne jederzeit wiederkommen, dann schenkte sie mir noch eine silberne Tabakdose mit dem Wahrzeichen des Mecha-Korpus auf dem Deckel. Sie blickte mir in die Augen und strich mir mit einer Hand über die Wange, ehe sie sich abrupt umwandte und davonging.
Während ich mich in den Jeep setzte, blickte ich ihr hinterher. Seltsam, früher hatte ich nie den Wunsch verspürt, einer Frau hinterherzusehen, wenn ich mich von ihr trennte oder wenn sie mich verließ. Aber Juna Galo hatte etwas Besonderes an sich … Eine untypische Härte, die sich mit einer früh entwickelten Weiblichkeit verband. Eine besondere Lebenskraft.
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