Tenebra 2 - Dunkle Reise
ermüden würde. Das Donnergrollen wiederholte sich, diesmal merklich näher.
»Ein Gewitter zieht auf«, bemerkte Silvus und blickte prüfend zum Himmel auf. Unausgesprochen blieb die Frage, ob wir uns leisten konnten, die Gelegenheit vorbeigehen zu lassen.
»Ich glaube, das meiste davon wird nach Norden vorbeiziehen. So ist es um diese Jahreszeit oft der Fall. Sie entstehen über den Ebenen, entladen sich aber über den Vorbergen. Und die liegen noch voraus.« Dann ergibt sich für uns die beste Gelegenheit. Es wird mehr regnerische Nächte geben. »Außerdem bin ich sicher, dass Meister Grames und sein bezaubernder Schützling – und der edle de Barras, natürlich – uns zum Abendessen Gesellschaft leisten werden. Es ist so schwierig, ihre Gastfreundschaft an Bord der Barke zu erwidern.«
Das war eine Überlegung. Abendessen mit Arienne. »Natürlich«, erwiderte ich mit Überzeugung.
Als Grames zurückkam und uns erklärte, dass eine Nachtruhe in einem Gasthaus uns allen willkommen sein würde, lächelten wir freundlich und luden ihn zum Abendessen ein, und er sah erfreut aus. Wir alle sahen erfreut aus.
Das Abendessen war in einem Sinne ein Erfolg. Silvus und ich hatten genug Silber, um dafür zu bezahlen, was uns einen moralischen Vorteil verschaffte, obwohl es kein Festessen gab, sondern nur ordentliche Hausmannskost – Bohnensuppe, ein Stück Braten, Lauch und breite Bohnen. Frisches Gemüse war eine willkommene Abwechslung, und als Nachspeise gab es Himbeeren.
Dennoch war es nur im taktischen Sinne ein Erfolg. Wir hielten Georghe von seinem Bett fern, und das war eine gute Sache, weil er die halbe Nacht würde aufbleiben müssen, um uns zu überwachen. Morgen würde er weniger wachsam und mehr zur Entspannung geneigt sein.
Trotzdem fehlte etwas am gemütlichen Behagen. Die unerwartete Ankunft adliger Gäste machte den Gastwirt nervös, und er eilte schwitzend hin und her und trieb die Köchin und den Küchenjungen und den Stallknecht an, während seine Frau eilig die beiden Gästezimmer lüftete und herrichtete, die das Gasthaus bereitstellen konnte.
Zwei Zimmer. Das gab Anlass zu anderen Erwägungen, und ich sah Barras an, wie er mit ihnen rang. Silvus aber gab ihm keine Gelegenheit dazu.
»Noch ein Glas Wein für Sie, Leutnant de Barras? Ein recht guter Tropfen, für ein Landgasthaus.«
»Ja. Wirklich nicht schlecht.«
Barras wusste Wein zu schätzen, besonders wenn andere Leute ihn bezahlten. Ein weiterer kleiner Vorteil. Der Weingenuss würde ihn entspannen, und hinzu kam das unbestimmte Gefühl, dem Spender verpflichtet zu sein. Das würde ihn freilich nicht daran hindern, uns ohne Gewissensbisse zu ermorden – in meinem Fall sogar mit Vergnügen.
Während Silvus ihm zutrank, rutschte ich unruhig herum und reichte Schüsseln weiter und überlegte, was ich zu Arienne sagen sollte, die mir gegenüber saß. Dies war meine Chance, verlorenen Boden zurückzugewinnen, aber was konnte ich sagen? Tut mir Leid, aber ich dachte, Barras zurechtzustutzen sei wichtiger als Ihnen zuzuhören. Großartig. Wundervoll. Wie hat Ihnen meine Konter-Riposte gefallen? Ganz hübsch, wie? Immer besser. Du bist ein Idiot, Will Parkin. Warum fällt dir nichts Gescheites ein?
»Ser de Castro scheint jetzt in besserer Stimmung zu sein«, bemerkte Grames zu mir gewandt. »Heute Nachmittag wirkte er recht erschöpft. Solch eine Reise muss für einen Edelmann seines Alters sehr ermüdend sein. Seine Hoheit der Fürst wird Ser de Castros Anstrengungen sicherlich ebenso zu würdigen wissen wie seine Fähigkeiten.«
Ich versuchte weltläufig auszusehen und zuckte mit der Schulter. »Soweit ich es verstehe, Messire, ist es mehr ein Talent als eine Fähigkeit. Eines, das in Ser de Castro im Verborgenen schlummert, denn er hat es weder jemals entwickelt noch seit seiner Kindheit Gebrauch davon gemacht.«
»Gleichviel. Nur wenige besitzen das Talent.« Er lächelte Arienne zu, die ihn nicht beachtete und ihren graugrünen Blick auf meinem Gesicht ruhen ließ.
»Und für diese wenigen ist es kein großer Segen, denke ich.« Ich weiß nicht, was mich bewog, das zu sagen.
»Gewiss, es ist ein zweischneidiges Schwert«, sagte Arienne. »Ein Magier kann die Natur in mancherlei Weise verformen, aber nicht den menschlichen Verstand. Oder nur dann, wenn der Verstand recht schwach ist. Vielen Möchtegern-Meistern der Schwarzen Magie wurde dies schon zum Verhängnis. Das Volk hasst das Dunkel. Es hat nichts gegen
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