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Tensegrity. Die magischen Bewegungen der Zauberer

Tensegrity. Die magischen Bewegungen der Zauberer

Titel: Tensegrity. Die magischen Bewegungen der Zauberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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entweder ungehindert durch sie hindurch, oder sie stockt darin. Es gibt jedoch sechs Zentren, die so groß sind, daß sie besondere Aufmerksamkeit verdienen. Es sind die Zentren des Lebens und der Vitalität. Dort stockt die Energie nie, aber manchmal ist der Vorrat an Energie so knapp, daß das Zentrum kaum noch rotiert.«
    Don Juan erklärte, daß diese großen Vitalzentren an sechs Stellen des Körpers lokalisiert seien. Er zählte sie in der Reihenfolge der Bedeutung auf, die die Schamanen ihnen beimaßen. Das erste befindet sich im Bereich von Leber und Gallenblase, das zweite im Bereich von Bauchspeicheldrüse und Milz, das dritte in der Region von Nieren und Nebennieren und das vierte in der Vertiefung am Halsansatz, an der Vorderseite des Körpers. Das fünfte befindet sich im Bereich der Gebärmutter und das sechste über dem Kopf.
    Das fünfte, nur Frauen betreffende Zentrum, hat nach Don Juans Worten eine besondere Art von Energie, die auf die Zauberer den Eindruck einer Flüssigkeit machte - ein Merkmal, das jedoch nur bei einigen Frauen zu finden ist. Diese Energie scheint als ein natürlicher Filter zu dienen, der das Eindringen unnötiger Einflüsse verhindert.
    Das sechste Zentrum, das sich über dem Kopf befindet, war nach Don Juans Worten eine Anomalie, und er lehnte es entschieden ab, sich damit zu beschäftigen. Er erklärte, es besitze keinen kreisenden Energiewirbel wie die anderen, sondern bewege sich wie ein Pendel vor und zurück - eine Bewegung, die irgendwie an den Schlag eines Herzens erinnert.
    »Warum ist die Energie dieses Zentrums so anders geartet, Don Juan?« fragte ich ihn.
    »Das sechste Energiezentrum«, erwiderte er, »ist nicht völlig im Besitz der Menschen. Verstehst du, die Menschen befinden sich gewissermaßen in einem Belagerungszustand. Dieses Zentrum ist von einem Angreifer besetzt, einem unbemerkten Räuber. Man kann diesen Räuber nur durch die Stärkung all der anderen Zentren überwinden.«
    »Ist es nicht paranoid zu glauben, daß wir uns in einem Belagerungszustand befinden, Don Juan?« fragte ich.
    »Für dich vielleicht, aber gewiß nicht für mich«, antwortete er. »Ich sehe Energie, und ich sehe, daß die Energie im Zentrum über dem Kopf nicht so fluktuiert wie die Energie der anderen Zentren. Sie bewegt sich vor und zurück. Das ist widerwärtig und ganz fremd. Ich sehe auch, daß bei einem Zauberer, der fähig war, seinen Verstand, den die Schamanen eine fremde Installation nennen, zu überwinden, die Energie in diesem Zentrum genauso fluktuiert wie in allen anderen.«
    Don Juan weigerte sich in all den Jahren meiner Lehrzeit grundsätzlich, über dieses sechste Zentrum zu sprechen. Als er mir bei dieser Gelegenheit von den Vitalitätszentren erzählte, setzte er sich ziemlich barsch über meine eindringlichen Fragen hinweg und begann, über das vierte Zentrum zu sprechen, über das Entscheidungszentrum.
    »Das vierte Zentrum«, sagte er, »hat eine besondere Art von Energie. Für das Auge des Sehers ist sie von einer einzigartigen Transparenz, bei der man an Wasser denken könnte. Diese Energie ist so beweglich, daß sie flüssig zu sein scheint. Das flüssige Aussehen dieser besonderen Energie ist das Kennzeichen der filterartigen Eigenschaft des Entscheidungszentrums, das alle ihm zufließende Energie abtastet und daraus nur den flüssigkeitsähnlichen Teil übernimmt. Die flüssige Beschaffen - heit ist ein gleichbleibendes und unveränderliches Merkmal dieses Zentrums. Zauberer nennen es auch das wässrige Zentrum.
    Die Energie kreist im Entscheidungszentrum schwächer als in allen anderen«, fuhr er fort. »Das ist der Grund dafür, daß der Mensch kaum etwas entscheiden kann. Die Zauberer sehen, daß dieses Zentrum nach gewissen magischen Bewegungen aktiviert ist. Dann können sie in aller Freiheit Entscheidungen treffen, während sie vorher nicht mal einen ersten Schritt in Richtung einer Entscheidung tun konnten.«
    Don Juan betonte mit Nachdruck, daß die Schamanen des alten Mexiko eine an Phobie grenzende Aversion gehabt hatten, die Vertiefung am eigenen Halsansatz zu berühren. Nur mit ihren magischen Bewegungen wirkten sie auf dieses Zentrum ein, die es stärkten, indem sie ihm verdrängte Energie zuführten und so alles Zögern bei Entscheidungen beseitigten - ein Zaudern, das entsteht, weil durch den Verschleiß im Alltag Energie zwangsläufig verdrängt wird.
    »Der Mensch«, sagte Don Juan, »als Konglomerat von Energiefeldern wahrgenommen,

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