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Jasmin - Roman

Titel: Jasmin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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1.
    DER 7. JUNI 67
    Im Morgengrauen des 7. Juni 1967, einem Mittwoch, in den gnädigen Augenblicken des goldenen Sonnenaufgangs, spähte al-Said Antoine Salama, Mitglied des Senats des Haschemitischen Königreichs Jordanien, aus dem Fenster seines Hauses und sah eine Gruppe Soldaten, die sich mit müden, schweren Schritten näherten. In zerrissener, staubbedeckter Kleidung schlurften sie die Straße entlang. Kein Wunder, sagte sich der Senator, sie haben ja die ganze Nacht gekämpft. Mit eigenen Ohren hatte er das Pfeifen der Granaten und das Zersplittern der Fensterscheiben vernommen. Zu Beginn der Bombardements hatte er hastig die Lichter am Eingang der Villa und im Wohnzimmer gelöscht, war von Raum zu Raum gegangen auf der Suche nach Schutz und hatte keinen gefunden. Bis zu dieser Nacht war es ihm nie in den Sinn gekommen, dass er eines Tages einen Schutzraum in seinem eigenen Haus brauchen würde. Auch seine Frau schlich durchs Haus, folgte ihm still wie ein Schatten. Die zwei Beruhigungspillen, die er ihr gegeben hatte, solche, die er selbst zu nehmen pflegte, wenn er an Schlaflosigkeit litt, halfen nichts. Sie beruhigte sich nicht, schlief nicht ein, sondern wanderte weiter, in einem alten Sommermorgenmantel, mit weit aufgerissenen Augen und wirrem Haar. Als er sie betrachtete, empfand er eine Mischung aus Ekel und Mitleid.
    Natürlich hatte auch er die ganze Nacht kein Auge zugetan. Wie konnte man schlafen, wenn das Schicksal von al-Quds, der Heiligen Stadt, auf dem Spiel stand? Ungeduldig wartete er, dass die Nacht endete, und da ging nun die Sonne, ebenfalls um das Wohl der Heiligen Stadt besorgt, in aller Früh, exakt um vier Uhr
vierunddreißig, über ihr auf. Der Senator betrachtete wieder die Soldaten an der Straßenecke, und ihm wurde leichter zumute. Gewiss war das die Vorhut der Sturmtruppe der irakischen Armee, die mobilisiert wurde, um die jordanische Legion zu unterstützen, wie ihm vor einigen Tagen ein Minister im Palast des Königs mitgeteilt hatte. Der Irak, das Zweistromland, war immer der Erste, der sich der Front für Palästina zur Verfügung stellte. Diese Soldaten und die der Legion setzten ihr Leben für die Unversehrtheit seiner Stadt ein, und sie würden die Schande von 48 tilgen. Sie und die Heere Nassers und der restlichen arabischen Länder.
    Staubwolken lagerten über Scheich Dscharrah, dem Villenviertel im Norden Jerusalems. Er nutzte eine kurze Feuerpause, um die sudanesische Dienerin rasch anzuweisen, den Soldaten zur Erfrischung kühles Wasser zu bringen. Seltsame schwarze Krähen mit langem Hals und mächtigen Schwingen stoben über seinem geräumigen Haus in Richtung al-Mudawara auf. Ihr freudig erregtes Geflatter schreckte ihn.
    Der Senator öffnete die Tür zu der großen Terrasse, die auf die Kreuzung hinausging, und ein scharfer Geruch nach verbranntem Staub und Rauch drang in seine Nase. Er trat ans Geländer und sah, wie die Soldaten die schweren Kampftornister und ihre Waffen auf die Erde legten, manche lehnten sich an den Zaun, der sein Haus umgab, andere gingen für eine kurze Rast in die Hocke. Einige von ihnen wandten ihren Blick seinem gepflegten Garten zu, den schönen Häusern des Viertels und dem luxuriösen Ambassador-Hotel. Als Repräsentant Seiner Majestät König Husseins verspürte er die heilige Pflicht, die kühnen Soldaten zu grüßen und ihnen die Anerkennung des gesamten Haschemitischen Königreichs kundzutun, und er hob beide Hände zum Gruß empor. Sie sahen ihn neugierig an.
    »As-salam aleikum, Friede sei mit euch und Allahs Segen und Gnade, o ihr Helden des Kampfes, o ihr Mudschaheddin, ihr Dschihadkämpfer, o ihr Söhne der glanzvollen arabischen Familie, o ihr kühnen, teuren Seelen. Ich, Antoine Salama, Mitglied
des Senats des Haschemitischen Königreichs Jordanien, habe die Ehre, euch den Dank und die Hochachtung König Husseins ibn Talal ibn Abdallah ibn Hussein al-Haschemi zu überbringen. Euer prachtvoller Kampf ist wie der Krieg des Kalifen Omar ibn al-Chattab, des Eroberers von al-Quds asch-Scharif, der Heiligen Stadt. Mit dem Schwung eures Schwertes habt ihr den nichtswürdigen, ketzerischen, grausamen zionistischen Feind, den niederträchtigen, erbärmlichen und feigen, zurückgeschlagen, und mit Allahs Hilfe werdet ihr ihn ins Meer werfen.«
    Die Soldaten zu seinen Füßen starrten ihn verblüfft an. Hatten sie vielleicht seine Worte nicht ganz verstanden? Er hatte sich mit der palästinensischen Aussprache an sie gewandt, die

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