Tentakel-Trilogie 1: Tentakelschatten
Tooma hasste den Schlaf und vermied ihn, wo sie nur konnte.
Ihre beständige Paranoia widersprach der Tatsache, dass sie den Gleiter die ganze Zeit nicht abgeschlossen hatte. Aber es gab so gut wie keine Kriminalität auf der Ebene, dafür lebten hier schlicht nicht genug Menschen. Und niemand würde auf den abwegigen Gedanken kommen, den »Marechal« zu bestehlen. Tooma kannte ihren Ruf und war darüber nicht sehr glücklich, andererseits hatte er seine Vorteile.
»Ein Lexington Executor«, erwiderte die Frau und reckte sich. Erwald konnte nicht umhin, ihrem muskulösen Körper einen anerkennenden Blick zu zollen. Der Mann war selbst ein Kraftprotz, wirkte dabei allerdings gleichzeitig plump, obwohl man ihm damit wahrscheinlich Unrecht tat. Tooma verband Kraft mit einer tödlichen Eleganz, die sich in ihren geschmeidigen Bewegungen ausdrückte. Ihre Knochen waren mit Keramikstahl verstärkt worden, ihre Gelenke mit Nanomotoren. Die Chirurgen hatten bei ihrer Entlassung die Leistung gedrosselt, soweit es ging, aber die Mischung aus gebändigter Kraft und graziöser Exaktheit ihrer Bewegungen blieb bestehen.
Besondere Wirkung erzielte sie dadurch, dass dieser Eindruck ganz unbewusst vermittelt wurde, an ihren Bewegungen war nichts willentlich Gesteuertes. Rahel Tooma wirkte auch fünf Jahre nach ihrem Abschied wie die tödliche Waffe, die sie einst gewesen war. Die Tatsache, dass jemand wie Erwald gar nicht erkannte, dass Rahel aufgerüstet worden war, führte dazu, dass er es als etwas natürlich Bewundernswertes ansah.
Darüber hinaus, und dessen war sich Rahel ganz genau bewusst, wirkte es bei vielen Männern ausgesprochen erotisch.
»Wenn ich das nächste Mal komme, dürfen Sie mal eine Runde drehen«, beantwortete Rahel die unausgesprochene Frage des Mannes. »Ich soll nächste Woche zu Tomlin, er will auch einen effektiven Zaun für seine Hühnerfarm. Kann es übrigens sein, dass ich diesen Auftrag Ihnen zu verdanken habe?«
Erwald grinste breit, wie ein Junge, dem ein Streich geglückt war.
»Ja, ich dachte mir, das könnte nicht schaden!«
»Vielen Dank dafür«, meinte Rahel und klopfte dem Mann auf die Schulter. Sie bestritt ihren Lebensunterhalt mit der Installation von Sicherheitseinrichtungen und deren Wartung. Ihre Kunden waren die rund 240 Farmer auf der endlosen Dschungelebene. Der Flug zu ihrem entferntesten Kunden dauerte fast vier Stunden. Der Executor war kein Hochgeschwindigkeitsfahrzeug, er war ein Lastentier. Bei rund 300 Stundenkilometern endete die Beschleunigungsfähigkeit der Maschine. Und die Ebene war riesig, wie der gesamte Planet, auf dem sich die Bevölkerung von knapp zehn Millionen fast verlor.
Von Erwalds Farm bis zu ihrer großen Blockhütte, die sie auf einem sehr bescheidenen Stück Grundbesitz errichtet hatte, waren es glücklicherweise nicht mehr als knappe zwei Stunden. Es war bereits früher Abend, und der plötzliche Sonnenuntergang hier am Äquator stand unmittelbar bevor, doch die Ortungsanlagen des Executor waren Militärtechnik und würden sie sicher nach Hause geleiten. Der automatische Peilsender auf ihrem Hausdach würde das Seine dazu beitragen.
Außerdem verlangte es Tooma wieder nach einigen Tagen Einsamkeit. Die Aufnahme bei Erwald war herzlich gewesen und es hatte ihr an nichts gemangelt, doch jetzt war es auch wieder genug und Zeit, allein zu sein.
»Ich komme in zwei Wochen wieder vorbei, um nach dem Rechten zu sehen«, kündigte sie auf dem Weg zum Gleiter an. Erwald nickte. In der Zwischenzeit würde er kaum irgendwelchen anderen Besuch bekommen. Die nächste Farm war gute 25 Kilometer entfernt. Man hatte selten Gesellschaft in dieser Gegend von Lydos, ein Grund mehr, warum Tooma sich hier niedergelassen hatte.
»Haben Sie gehört, dass der Gouverneur zurück getreten ist?«, fragte Erwald. »Es war gestern in den Nachrichten. Aus Gesundheitsgründen, sagen sie.«
Er lächelte listig. »In Wirklichkeit hat er sich ein paar Mal zu offenherzig kaufen lassen, hat mir mein Schwager erzählt!«
Erwalds Schwester war in der Hauptstadt verheiratet, wie Tooma erfahren durfte. Der Farmer rühmte sich dieses direkten Drahtes in das urbane Leben der Kolonialwelt zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit. Er war ein Quell politischer Interpretationen, kluger Analysen und gewichtiger Prognosen. Seine Frau ertrug dies offenbar mit stoischer Gelassenheit.
»Nein, das war mir neu«, meinte Tooma neutral. Sie interessierte sich nur am Rande für die Politik
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