0616 - Der König des Schreckens
Lorenzo hatte seinen Auftritt!
Er hatte eigentlich immer seinen Auftritt. An diesem düsteren Abend jedoch machte er es besonders spannend, denn es ging um alles, und das hieß – Mord à la Lorenzo.
Aus dem für die Zuschauer nicht sichtbaren Hintergrund schob er sich hervor. Erst schlug der Vorhang in Wellen, dann klaffte in der Mitte eine Lücke, und ein einsamer Scheinwerfer erfaßte den Mann von der linken Seite her.
Es sollte keinen Beifall geben, darum war zuvor gebeten worden.
Den Zuschauern im Saal allerdings fiel es schwer, sich zurückzuhalten. Zwar klatschten sie nicht, aber ihr Murmeln, das Schaben der Füße, das manchmal scharf klingende Flüstern, dies alles bewies, daß der Auftritt die Zuschauer doch beeindruckte.
Das Licht verfing sich in seinem mit Straß besetzten, engen Kostüm, ließ es so wertvoll erscheinen, wanderte höher und zielte auf das Gesicht des Mannes.
Es war clownhaft geschminkt. Möglicherweise versuchte Lorenzo, die Figur des Jokers aus »Batman« zu kopieren, das gelang ihm allerdings nicht, zudem fehlte ihm das schauspielerische Talent.
Deshalb wirkten die Züge einfach nur verzerrt. Weiß umrandet der Mund, graue Striche auf den Wangen, damit die Haut älter erschien, ein ebenfalls grauer Strich auf dem Nasenrücken, der die Nase selbst länger und schärfer erscheinen ließ, und violettrot die Augen.
Eine Kopfbedeckung trug Lorenzo nicht. Sein schwarzes Haar lag glatt am Schädel, war dabei straff zurückgekämmt und glänzte durch den spiegelnden Lack.
Der Mann verstand es, sich tänzerisch zu bewegen. Er war ein Profi, ihm gehörte die Bühne. Obwohl allein schaffte er es, sie zu füllen.
Bestimmt trug auch die Dekoration einen großen Teil dazu bei, denn sie konnte man als ungewöhnlich bezeichnen.
So aufgebaut, daß es nicht störend wirkte, standen in einem Halbkreis verteilt zahlreiche Bilder. Sie hatten ihre Plätze auf Stafetten gefunden und blieben noch in der Düsternis der Bühne verborgen, denn das Licht des Scheinwerfers konzentrierte sich vorerst auf den grell geschminkten Mann in seinem glitzernden Kostüm.
Er ging vor bis an den Rand, schaute hinab, als wollte er sich jedes einzelne Gesicht aus dem Publikum merken. Es gab keine Ansprache, keine Begrüßungsrede, der Mann auf der Bühne blieb stumm.
Wenn er lächelte und dabei den Mund in die Breite zog, so sah es aus, als bestünde seine Haut aus Gummi.
Er ging in die Hocke, winkte mit den Händen, bewegte auch die Arme. Sein Körper besaß eine gewisse Gelenkigkeit, wie man sie nur bei Tänzern oder guten Turnern sah.
Gesichter starrten ihn an. Diejenigen, die gekommen waren, ihn zu sehen, kannten den Künstler. Sie wußten, daß er nie viel sprach, er war da, um zu demonstrieren, um seine Kunst dem Publikum nahezubringen, denn der Auftritt, egal wo, glich jedesmal einer hervorragend gemachten Performance.
Lorenzo schnellte plötzlich hoch, drehte sich dabei. Das Publikum schaute auf seinen Rücken, dann stieß der Mann beide Arme zur Seite, und im nächsten Augenblick explodierte die Bühne in einem Meer aus Licht.
Jetzt brandete der Beifall los.
Wie ein Orkan tobte er durch den Saal, erreichte die Decke, wurde zu einem Echo, das durch den Saal schwang. Lorenzo wandte sich wieder seinen Gästen zu, streckte den Körper, bevor er sich auf die Zehenspitzen stellte, die Arme ausbreitete und diesen tosenden Beifall genoß. Er dauerte lange. Lorenzo verbeugte sich ständig, winkte ab, ohne den Beifall zu unterbrechen.
Erst nach einer Weile verstummte das Klatschen, denn die Zuschauer waren von dem fasziniert, was die Scheinwerfer aus der Finsternis hervorgeholt hatten.
Bilder – Gemälde. Sie bildeten die Dekoration, ihretwegen waren sie alle gekommen, und in die Augen der meisten Menschen geriet ein strahlender Ausdruck.
Man mußte schon Fan sein, um die Motive des Malers Lorenzo zu mögen. Seine Bilder zeigten keine Heile-Welt-Romantik, sie bildeten einen düsteren Wirrwarr, der auf den ersten Blick rein abstrakt aussah, allerdings nicht mehr auf den zweiten.
Da zeigten sie schon Motive. Szenen, die einfach schlimm waren, die eigentlich nicht von dieser Welt stammen konnten. Geboren in der krankhaften Phantasie des Künstlers.
Die Bilder explodierten förmlich, wenn man sie betrachtete. Sie waren grausam, sie verwirrten in ihrer negativ wirkenden Farbenpracht, obwohl es nur düstere Farben waren, wie ein dunkles Rot, ein tiefes Schwarz, ein blasses Violett, dazwischen mal ein helles
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