Terminal 3 - Folge 2: Die Sensen des Himmels. Thriller (German Edition)
Lennard Fanlay
Ich blicke auf meine Armbanduhr.
Zehn Minuten nach sechs.
Ich sehe den Lichtern der startenden Boeing 737 nach. Fünfmal in der Woche fliegt sie die Strecke San Francisco – Washington. Zwischenstopp in Chicago. Kein Abflug ist pünktlicher.
Man kann die Uhr danach stellen.
Der Panoramaraum im Terminal drei ist menschenleer.
Auf den weißen Fliesen liegt ein schwarzes Pelztier. Es ist ein Gorilla. Natürlich kein echter.
Ich muss bei dem Gedanken unwillkürlich lächeln. Ein lebendiger Gorilla würde hier für einige Aufregung sorgen. Und doch wäre so ein Ereignis wesentlich angenehmer, als vieles, was ich als Sicherheitschef des Terminals bisher erleben musste.
Der Gorilla ist ungefähr dreißig Zentimeter groß und sehr flauschig. Nur seine Nase fühlt sich hart an. Sieht aus, als wäre sie aus echtem Leder.
Jemand hat ihn verloren. Vermutlich ist der Besitzer – vielleicht ein Vater, der das Mitbringsel für Sohn oder Tochter bereits vermisst – mit der 737 unterwegs in die Hauptstadt.
Routinemäßig taste ich das Plüschtier noch einmal ab.
Keine Bombe, kein geheimes Drogenversteck.
Misstrauen gehört nun mal zu meinem Job.
Ich beschließe, den Gorilla im Kinderhort abzuliefern. Der öffnet aber erst um sieben.
Ich gähne. Brian hat sich krankgemeldet. Sonst würde ich jetzt in meinem Bett liegen.
Brian glaubt, sich einen Virus eingefangen zu haben. Der Flughafen wäre ja voll davon, sagt er. Die Leute schleppen sie aus aller Herren Länder ein.
Ich halte das für einen Vorwand. Brian stinkt die Arbeit. Es würde mich nicht wundern, wenn er sich nach etwas anderem umsieht.
Wir sind völlig unterbesetzt, aber das ist ihm wohl egal.
Ich werde ihn mir mal zur Brust nehmen müssen.
Ich brauche jetzt dringend eine Tasse Kaffee.
Mein neuer Assistent Marc hat Dienst im Überwachungsraum. Ich werde ihm Gesellschaft leisten und den Affen dort zwischenlagern.
Wie sieht denn das aus, wenn der Sicherheitschef mit einem Plüschgorilla durch die Gegend rennt?
Ich werfe durch die riesige Fensterfront einen letzten Blick auf die Landebahn.
Vor dem Terminal steht eine mächtige Maschine – ein Airbus der Air France. Scheinwerfer tauchen das Flugzeug in grellweißes Licht. Zwei Männer in reflektierender Sicherheitskleidung hantieren an einem Tankwagen. Eigentlich ist es aber gar kein Tankwagen, sondern eine fahrbare Pumpstation, mit der man das Kerosin aus den unterirdischen Tanks des Rollfelds fördert.
Um Viertel nach acht startet Air France nach Paris. Zweimal in der Woche. Montags und mittwochs.
Ich seufze unwillkürlich. Beth wollte immer nach Paris. Ich hatte damals weder das notwendige Kleingeld, noch die Zeit dafür. Heute besitze ich noch nicht einmal ein Foto von Beth. Ich habe alle Erinnerungsstücke verbrannt. Aus gutem Grund, wie ich finde.
Aber das ist eine andere Geschichte.
Ich halte auf der Empore inne und schaue auf die sogenannte Mall des Terminals hinab. Unsere schnurgerade Hauptstraße unter dem hohen Aluminiumdach. Gesäumt von Souvenirshops, Bars, Fast-Food-Restaurants und kleinen Geschäften, in denen der Reisende all das erstehen kann, was er in der Eile vergessen hat.
Die ersten Läden öffnen gerade.
Der Boden ist überall weiß gefliest.
Eine völlige Fehlplanung. Was wohl edel aussehen sollte, treibt unsere Reinigungsexperten tagtäglich in den Wahnsinn. Gummiabrieb von Schuhsohlen und Gepäcktrolleys und die allgegenwärtigen festgetretenen Kaugummis. Obwohl das Ausspucken von Kaugummi unter Strafe steht. Kostet zehn Dollar. Kümmert aber keinen.
Auch jetzt ist im Eingangsbereich eine Gestalt in der gelben Kluft unserer Putzkolonnen damit beschäftigt, die klebrigen Überreste zu entfernen. Es ist Kenny. Mit einem Spezialgerät sprüht er heißen Dampf auf die Fliesen.
Das Geräusch, ein hässliches, nervtötendes Zischen, ist selbst aus der Entfernung zu hören.
Zwei Männer mittleren Alters und eine junge Frau schlendern die Mall entlang. Die Herren in lässigen Anzügen, die Brünette in einem schicken dunkelblauen Kostüm.
Sie lacht. Es klingt angenehm und ungekünstelt. Eine schöne, helle Stimme. Sie sagt etwas zu den Männern. Auf Französisch.
Ah ja ... der Airbus der Air France. Die drei sind aber früh dran.
Sie nehmen die Treppe zur Empore. Vermutlich wollen sie in den Panoramaraum.
Ich gehe ihnen entgegen. Als wir uns auf gleicher Höhe begegnen, versuche ich ein »Bon jour!«.
Die Franzosen grüßen freundlich zurück, und ich
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