Terra Anchronos (German Edition)
vergaß“, murmelte Arne. „Niemand wird älter, niemand stirbt.“
„Der einzige Weg ist der, den auch der erste Subtektone genommen hat, Arne.“
„Und welcher ist das, bitte?“
Martha wies auf das Stück Papier, das Arne noch immer in der Hand hielt. „Da steht die Lösung.“
„Was soll das bedeuten? Wenn ich ehrlich bin, kann ich damit nicht viel anfangen“, sagte Arne und schob das Papier in die Hosentasche, nachdem er die Zeilen noch einmal aufmerksam durchgelesen hatte.
„Ich auch nicht“, flüsterte Martha.
Das Loch in der Zeit
Arne und Martha waren derart in sich gekehrt, dass es schien, sie würden ihre Mitmenschen nicht mehr registrieren. Beiden ging ständig ein und derselbe Gedanke durch den Kopf.
Am Abend des zweiten Tages – Arne hatte das Licht in seinem Zimmer schon längst gelöscht – klopfte es leise und zaghaft an seine Zimmertür. Der Vater schaute vorsichtig in den Raum und flüsterte: „Arne? Schläfst du schon, Junge?“
Als er sah, dass sich unter der Bettdecke etwas rührte, kam er an das Bett, knipste die Nachttischlampe an und setzte sich zu seinem Sohn.
„Ich habe den Eindruck, dass dir etwas schwer zu schaffen macht. Ist es meine Reise?“
Arne schüttelte den Kopf, jedoch so, dass man es für eine Zustimmung halten, ebenso aber auch als Verneinung deuten konnte.
„Es tut mir leid, Arne“, sagte der Kapitän. „Aber es ist mein Beruf. Ich kann nicht einfach sagen, dass ich keine Lust habe. Viel lieber wäre ich bei euch, das kannst du mir glauben.“
Arne schwieg. Auf die Worte seines Vaters konnte er nicht angemessen reagieren. Sie taten ihm zwar gut, doch in den letzten Tagen hatte er keinen Gedanken an die so zeitige Abreise des Seemanns verschwen det. Das konnte er ihm aber schlecht sagen. Gemein und undankbar hätte er es gefunden. In diesem Augenblick, als der Vater an seinem Bett saß, spürte er schon ein wenig Beklemmung in der Brust aufkommen, mochte sie aber nicht zugeben. Es war wie ein frühzeitiges Abschiednehmen. Es rief ihm schmerzhaft in Erinnerung, dass er sich bald von Martha trennen musste. Spätestens in vier Jahren. Vielleicht schon frü her, wenn sie das Rätsel um die Legende des ersten Subtektonen gelöst hatte.
Der Kapitän betrachtete seinen Sohn mit einem liebevollen Blick. Dann erhob er sich und nahm Arnes Sachen vom Boden auf, die wieder einmal gegen jede Vereinbarung achtlos im Zimmer verstreut lagen. Er mochte an diesem Abend wohl nicht mehr schimpfen, denn wortlos hängte er das noch saubere Hemd über einen Bügel und zog die Socken durch. Als Letztes nahm er die Hose des Jungen zur Hand und faltete sie. Er bückte sich, um ein Stück Papier aufzuheben, das aus der Hosentasche gefallen war. Nachdenklich betrachtete er es im Lichtkegel der Nachttischlampe.
„Schau an“, sagte er. „Das ist ja aus einer uralten Zeitung. Wo hast du das denn her? Vom Dachboden?“
Er sah Arne an. Im schwachen Schein der Lampe konnte er nicht erkennen, wie blass Arne plötzlich geworden war. Der Junge zog sich schnel in den Schatten außerhalb der Lampe zurück und murmelte nur ein gedämpftes, ängstlich klingendes: „Ja.“
Der Kapitän drehte das Papier in der Hand. Sein Blick blieb an den Zeilen hängen, die Arne auf der Rückseite notiert hatte.
„Was sind das für Verse? Woher hast du die?“, fragte er freundlich.
„Ach, das ist nur ein Gedicht, das Martha eingefallen ist. Nichts Wichtiges“, versuchte Arne seinen Vater von den Zeilen abzulenken.
„Das ist äußerst interessant.“ Der Kapitän holte die Lesebrille aus der Tasche und las noch einmal.
„Von Ost nach West, halt’s Datum fest, von West nach Ost, lass’ Datum los“, sprach er mehr für sich als zu Arne.
Der Junge war plötzlich hellwach. „Was hast du gesagt?“
„Von West nach Ost, lass’ Datum los“, wiederholte Arnes Vater, der erfahrene Seemann.
„Nein! Die Zeile davor“, keuchte Arne atemlos.
„Von Ost nach West, halt’s Datum fest.“
„Das steht aber doch nicht auf dem Zettel, oder?“
Arne riss seinem Vater das Papier aus der Hand und überflog die Verse.
„Nein, das steht dort nicht. Aber so ist der Spruch vollständig.“
„Welcher Spruch denn? Wovon redest du?“
„Von der Datumsgrenze. Der Spruch ist eine Hilfe für Seeleute, um sich zu merken, wie das Datum beim Überschreiten der Datumsgrenze zu stellen ist.“
Jetzt war der Kapitän in seinem Element. Ohne weitere Fragen abzuwarten, setzte er sich wieder auf das Bett
Weitere Kostenlose Bücher