Terra Anchronos (German Edition)
als die Kinder das Haus betraten.
„Ruf deine Mutter, Arne. Ich habe Wichtiges mit euch zu besprechen.“
„Also“, begann der Kapitän, als alle versammelt waren. „Meine Reederei hat ein neues Schiff. Es wird bald in Dienst gestellt und ...“ Er zupfte sich verlegen den Bart und sah seine Frau entschuldigend an.
„Du brauchst gar nicht um den heißen Brei herumzureden“, kürzte Arnes Mutter die Erklärungsversuche ihres Mannes ab und verdrehte resigniert die Augen.
„Wann geht die Reise los?“
„Nun ja. Ich fürchte, ihr müsst dieses Jahr das Osterfest ohne mich feiern.“
„So bald schon? Du bist doch gerade erst gekommen.“ Die Enttäuschung stand Arne ins Gesicht geschrieben.
„Es sind ja immerhin noch zwei Wochen bis dahin.“
Der Kapitän sah, dass dem Jungen die Tränen in den Augen standen.
„Tatsächlich!“ Arnes Mutter stand vor dem Wandkalender und zählte die Tage. „Ostern fällt diesmal sehr früh ins Jahr. Wohin soll die Reise denn gehen?“
„Das ist das einzig Erfreuliche an der Sache, antwortete der Kapitän. Von Hamburg über den Atlantik, durch den Panamakanal und dann in Richtung Südsee. Ich sol auch nur diese eine Reise machen. In Australien werde ich schon wieder abgelöst.“
Leise erhob Arne sich und verließ den Raum. Die Blicke seiner Eltern trafen sich. Es herrschte Einigkeit darüber, dass der Junge nicht zur Erledigung der Hausaufgaben gemahnt wurde. Die Nachricht von der Abreise des Vaters hatte ihn sicherlich schwer getroffen. Darin täuschten der Kapitän und seine Frau sich nicht gänzlich, doch viel mehr interessierte Arne sich augenblicklich für die Inschrift auf Marthas Grab.
Er hoffte, dass sie ihm bald auf den Dachboden der Scheune folgen würde.
„Schieß los!“, sagte er sofort, als Martha noch auf der letzten Stufe der alten Holzstiege stand. „Wieso sind die Worte deine Rettung?“
„Ich denke schon die ganze Zeit darüber nach.“
Martha nahm Arnes Stammplatz auf dem Thron ein und warf die Stirn in nachdenkliche Falten. „Es sind nur einige Worte, die mir so bekannt vorkommen.“
Arne kreuzte die Hände hinter dem Rücken und ging mit langsamen, schweren Schritten im Kreis.
„Woran erinnern die Worte dich?“ Er blieb stehen und sah Martha auffordernd an.
„Es gibt in der Terra anchronos eine Legende. Sie handelt von dem ersten Menschen, der je in das Land ohne Zeit gelangt ist. Ich bekomme die Verse nur nicht mehr zusammen.“
„Ein Gedicht? Verstehe schon“, murmelte Arne.
„Ich bekomme diesen Ribbeck auf Ribbeck im Havelland auch nicht in meinen Kopf.“
Arne schwieg eine Weile und schaute Martha beim Denken zu. „Eins ist jedenfalls sonnenklar. Du musst zurück in die Terra anchronos. Daran besteht kein Zweifel.“
„Eben“, sagte Martha, die einen ziemlich abwesenden Eindruck machte.
„Die Frage ist nur: Wie?“ Arne ging weiter bedächtig auf und ab. Plötzlich blieb er mit strahlendem Gesicht stehen. „Du musst nur am 29. Februar 2012 an der Stelle der Nordsee sein, wo diese Faulkammer auftaucht.“
„Blödsinn!“, erwiderte Martha ohne aufzuschauen.
„Selbst wenn ich durch einen puren Zufall tatsächlich die Stelle finde, ist der 29. Februar angebrochen, und ich treibe als Leiche auf dem Wasser.“
„Meinst du denn, dass man die Worte so genau nehmen muss und der Tod in der ersten Sekunde nach Mitternacht eintritt? Auch der 29. Februar hat schließ lich 24 Stunden.“
Martha schaute ihn höhnisch an. „Würdest du das Risiko eingehen?“
„Wahrscheinlich nicht“, gab Arne kleinlaut zu und forschte nach einer besseren Lösung.
„Gibt es denn keine andere Möglichkeit, in die Terra anchronos zu kommen?“, fragte er nach einer Weile.
„Es gab einmal eine.“ Martha machte jedoch sofort eine abwehrende Handbewegung. „Die kann ich vergessen. Die Methode ist verboten worden.“
„Erklär es mir wenigstens“, bat Arne.
„Nur, wenn du mich anschließend weiterdenken lässt und nicht andauernd störst.“
Arne versprach es.
„In der Terra anchronos leben nicht nur die Subtektonen, sondern auch die Viperae archimedensis.“
„Die hast du schon einmal erwähnt“, unterbrach Arne. „Was ist das?“
„Schlangen. Allerdings sehen sie äußerst merkwürdig aus. Sie haben einen Körper, der aussieht wie eine archimedische Schraube. Verstehst du?“
Arne kratzte sich am Kopf. „Was es alles gibt.“
„Gut, dass du dich an den Gedanken gewöhnst“, stellte Martha zufrieden fest.
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