Terroir
er hat es ja mit dem Magen. Und überhaupt. Wen geht denn das etwas an?
Wenn das System dann irgendwann einmal kippt und der Alki auch als solcher öffentlich in Erscheinung tritt, dann, igitt, dann ist Schluss mit lustig. Mann muss sich schließlich doch im Griff haben! Die gebrochenen Gräten nach dem Looping mit hundertachtzig Sachen auf der Autobahn, armer Kerl. Der Lungenkrebs nach dreißig Jahren Qualmerei, schlimmes Schicksal. Aber Alkoholismus als Krankheit? Nein. Wie kann man sich nur so gehen lassen.
Das provoziert uns, ganz wie den alten Noah. Denn es rüttelt an den Grundfesten unserer Gesellschaft. Es weckt unsere tief sitzende Angst vor dem Verlust von Bewusstsein, die Angst vor dem Zurück in den Schoß der Ich-auslöschenden, grausamen sternflammenden Herrscherin der dunklen Nacht.
Er kam warmgetrunken von einem Galadiner, setzte sich in seinen Feierabendfauteuil, leerte seine Whiskyvorräte und hatte bereits die doppelte Bettschwere, als ihn plötzlich ein ‚heftiger Durst‘ überkam. Er torkelte in seinen Keller. Dort lagerte ein Teil seines Erbteils, nämlich Weinflaschen. Die Art von Flaschen, die unter Bohei auf Versteigerungen den Sammler w echseln. Der Rest ist klar. Noch Jahre später erinnerte er sich jammernd daran, dass er sich an nichts mehr erinnern kann, geschweige denn an den Geschmack: ‚Und es waren Kulturgüter, die ich da gesoffen habe!‘
Danke, Simon Borowiak, für das schöne Buch Alk.
Und so viel zur guten Mutter Natur.
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M AN MÜSSTE W EINTRINKER SEIN
Franz Josef Degenhardt
Für Tiefenpsychologen liegt das biblische Paradies der Menschheit im Mutterleib. Völlig eins mit der Natur und ohne sich seiner selbst bewusst zu sein, ist der Embryo geschützt und genährt. Erst mit der „Vertreibung“ beginnt er sich langsam von seiner Umwelt abzugrenzen, sie zu begreifen und sich seiner selbst bewusst zu werden.
Parallel dazu belegen neueste Forschungsergebnisse, dass es ein biblisches Paradies wohl auch im Außen gegeben hat, in Mesopotamien. Ein angenehm warmes Klima, ausreichende Niederschläge und fruchtbare Böden ließen einen Garten Eden entstehen, in dem die Menschen bei einem Überangebot von Nahrung von der Hand in den Mund leben konnten. Bis zu der entscheidenden Zäsur um etwa 8000 vor Christus. Steigende Temperaturen und eine anhaltende Dürre ließen die Ressourcen immer knapper werden. Die Jäger und Sammler entwickelten sich „im Schweiße ihres Angesichts“, wie wir in der Bibel nachlesen können, zur sesshaften Ackerbaugesellschaft mit differenzierteren Formen von Arbeitsteilung, komplizierterem Handwerkszeug und neueren Formen von Sprache. Stimmen, die der Einzelne nun immer mehr in sich hörte, wurden anfangs der göttlichen Welt zugeschrieben. Nur ganz langsam wurden einige als die eigenen Stimmen erkannt, keimte aus dem Gruppenbewusstsein das Bewusstsein seiner selbst, entwickelte sich das psychologische Ich, mit der Freiheit, selbst darüber entscheiden zu können, entweder seinem spontanen Impuls zu folgen oder seiner inneren Stimme. DieseFreiheit ist auf der Persönlichkeitsebene die Basis von dem, was wir Zivilisation nennen.
Angesichts des eklatanten Missverhältnisses zwischen dem Reichtum und dem Elend auf der Welt, sowohl auf materieller wie auch auf geistiger Ebene, lässt sich der Begriff Zivilisation für die Art und Weise, wie wir zusammenleben, natürlich begründet infrage stellen. Aber das Wort hat sich halt nun mal eingebürgert …
Die Frage, wie genau und warum überhaupt sich die Menschheit immer weiterentwickeltet hat, wurde seit alters her entsprechend dem jeweiligen Weltbild unterschiedlich beantwortet. Im Grund lassen sich drei konkurrierende Theorien beschreiben.
Die älteste und bis vor ein paar Jahrhunderten unangefochtene Nummer eins ist die Geschichte vom Ruf Gottes. Wer den richtigen Gott hatte respektive hat und ihm am konsequentesten folgt, heißt, die Spielregeln einhält, die seine Repräsentanten auf Erden als Schamane, Priester, Gurus oder Wirtschaftsteil der FAZ ausformulieren, kann sich an Gesundheit, Frieden und wirtschaftlicher Prosperität, sprich fortschreitender Zivilisation, erfreuen.
Dann kam die Aufklärung, und alles wurde logisch. Erst war es der große Einzelne, der visionäre Held, der die Massen mobilisieren konnte, und dann eine an die Entwicklung der Produktivkraft gebundene Abfolge von Klassenkämpfen. Lief ein Volk den richtigen Helden hinterher und waren die Klassenkämpfe siegreich, war
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