Terroir
einflussreiche Weinverkosterfirma Mr. Parker jun. (auf die wir später noch zu sprechen kommen) seit einiger Zeit auf unfiltrierte Rotweine steht, diese aber nicht in jedem Jahr und auch nur von wirklich talentierten Kellermeistern ohne größere Risiken abgefüllt werden können, freuen sich die Lieferanten von Pasteurisierungsanlagen insbesondere in der Region Bordeaux momentan über lukrative Aufträge.
Dreißig Jahre ist es her, da revolutionierte den Bordelaiser Rotwein eine andere Erkenntnis des einem guten Tropfen nicht abgeneigten Louis Pasteur, die in dem berühmten Zitat „C’est l’oxygène, qui fait le vin“ zusammengefasst ist. Während der Maischegärung lösen Enzyme und Alkohol nicht nur den roten Farbstoff aus der Beerenhaut, sondern auch viele andere Gerbstoffe. Diese zum Teil sehr bitter schmeckenden, auch Tannine oder Polyphenole genannten chemischen Verbindungen haben aber auch etwas Gutes. Sie geben dem Wein Körper und sie schützen ihn vor Oxidation, da sie eine wesentlich höhere Affinität zu Sauerstoff besitzen als verschiedene Aromen, Alkohol und der Schwefel. Daher kommen stark phenolhaltige Weine auch mit weniger bis manchmal gar keinem zugesetzten konservierenden Schwefel aus.
Zurück zum Sauerstoff. Er macht sich also, wie auch immer er in den Most oder Wein hineinkommt, erst mal an die Gerbstoffe heran. Nicht direkt – das wäre ja auch zu einfach –, sondern über Enzyme. In diesem Fall sind es die Enzyme Tyrosinase und, wenn denn vorhanden, Laccase. Diese Enzyme verketten die Gerbstoffe, bis die Moleküle so groß sind, dass sie als Depot ausfallen. Dabei nimmt der Geschmack der Bitternis ab, und irgendwann ist der Wein dann „rund und weich“. Bei einem traditionell vinifizierten Bordeaux kann das, nicht anders als bei einem Barolo oder Montepulciano, gut seine zehn oder zwanzig Jahre dauern. Viel zu lange für die moderne Gesellschaft. Daher passte es ganz in den Zeitgeist, als der Bordelaiser Önologe Émile Peynaud in den 80 er-Jahren die These Pasteurs aufgriff und mit dem später nach ihm als Peynaudisierung benannten Verfahren den (Rot-)Wein schon während des Ausbaus im Fass mit so viel Sauerstoff in Kontakt kommen ließ, dass die Polymerisierung (Verkettung) der Phenole schon vor der Flaschenfüllung weit vorangeschritten war und sich die Weine nach nur wenigen Jahren der Flaschenreife geschmacklich harmonisch präsentierten. Diese Verfahren sind bis heute natürlich noch weiter verfeinert worden. Die unterschiedlichen Techniken der Mikrooxygenation mit reinem Sauerstoff erlauben zeitlich exakt abgestimmte Sauerstoffdosierungen im Nanogrammbereich.
Beim Weißwein lief die Entwicklung gerade umgekehrt. Hier lautet die offizielle Devise seit den 80 er-Jahren: nur keine Gerbstoffe in den Wein kommen lassen. Deshalb am besten die Trauben erst gar nicht maischen, sondern im Ganzen und möglichst schnell abpressen. Kein Phenölchen soll den angestrebten Fruchtsalatgeschmack des Weins beeinträchtigen. Und damit die Aromen nicht verloren gehen, nur ja keinen Sauerstoff an den Wein heranlassen, sondern möglichst kurz nach Abschluss der Gärung, wenn der Wein noch voller reduzierender Kohlensäure ist, gegebenenfalls unter schützendem Stickstoffmantel mit ausreichend viel Schwefel von dem einen in den anderen Edelstahltank filtrieren und dann ganz schnell ab in die Flasche. Gesagt, getan. Und der Fruchtgeschmack der modernen Weißweineliegt, wenn er denn nicht mit Holzfassaromen zugepowert ist, irgendwo zwischen Blütendüften und Mango, Pfirsich, grünem Apfel, Limone oder Paprika. Not too bad . Nur, wenn diese Weine den Sommer des auf die Ernte folgenden Jahres überstanden haben, ist es meist aus mit lustig. Bestenfalls schmecken sie nach gar nichts mehr – meist aber rebellieren die Geschmackspapillen wegen zu bitter, zu scharf und oxidiert.
Auch hier wird Weinkultur auf dem Altar des Fastfood geopfert. Ein guter Wein ist nicht nur haltbar, er muss auch das Potenzial haben, sich zu entwickeln, zu verändern, über die Jahre immer neue und interessante Geschmackserlebnisse zu bieten. Grund genug für die Terroirbewegung, den Satz Pasteurs neu zu überdenken und auch den Weißweinen die Möglichkeit zu geben, die „guten“ Tannine aus der Beerenhaut zu extrahieren bei gleichzeitigem moderatem Kontakt zu Sauerstoff. Ein langes Mazerieren (Einweichen) auf der Maische, kein Deaktivieren des natürlichen Enzymsystems durch Schönungen und Schwefel. Dann ein langsames
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