Terroir
Vergären im Holzfass mit anschließendem wiederum langem Hefelager. Das sind wichtige Parameter der Vinifikation eines Terroirweins. So entwickelt er Körper, lernt er, mit Sauerstoff umzugehen, und verspricht Genuss für viele Jahre.
Warten können auf Reife.
Damit kriegen wir die Kurve zu Freud und der nach Gott und Vernunft dritten Theorie der Zivilisation, der Triebsublimation. Und auch Freud hat recht. Das Nicht-abwarten-Können, das Möglichst-viel-und-jetzt-gleich-alles-haben-Wollen ist im Freud’schen Sinn ein Regredieren auf infantile Verhaltensmuster. Eine zivilisierte Erwachsenenwelt definiert sich genau andersherum. Hier gibt es ein Abwarten-Können, ein Sich-vorher-mit-dem-Wein-Beschäftigen, hier gibt es ein Spannung-aushalten-Können und Vorfreude in der Erwartungvon Genuss. Das Gegenteil von Komasaufen: Terroirwein ist auch der Wunsch und die Sehnsucht nach Zivilisation.
Ich möchte Weintrinker sein,
nicht immer diese hellen Schnäpse saufen,
nicht von Dingen reden, die nur mich angehn,
mir nicht für zwei Gläser Bier Verständnis kaufen,
nicht mit jenen streiten, die am Tresen stehn ...
nicht ab Mitternacht‚ Frau-Wirtin-Verse‘ grölen ...
sondern
... mit Kumpanen lachend ein paar Lieder singen,
die sich um Trinken, Mädchen und um Liebe drehn …
Ich möchte Weintrinker sein,
singt Franz Josef Degenhardt.
Die uralte, symbolische Zahl Drei, die sich auch in der Dreiteilung des Baums als tree in Wurzel, Stamm und Krone erhalten hat, prägt nach wie vor unsere Gefühlswelt. Kaum ein Ruf, kaum eine Affirmation, kaum eine Frage, die nicht drei Mal wiederholt wird. Wir zählen „Auf die Plätze, fertig, los“, rufen „Hipp, hipp, hurra“ und drohen „Ich sag’ das jetzt zum dritten Mal“. Und in den alten Märchen gibt es immer drei Prüfungen, die der Held bestehen muss und drei Jahreszeiten mit den dazu passenden Farben. Weiß wie der Schnee, Rot wie das Blut, Schwarz wie Ebenholz. Und nicht nur die christlichen Religionen kennen die heilige Dreifaltigkeit. Auch im chinesischen Dao-Tempel stehen hinter Buddha die drei big boys .
Die moderne Welt hat sich von der Drei zur Vier entwickelt. Die Festung der Zivilisation hat nicht nur symbolisch Kontrolltürme inalle vier Himmelsrichtungen. Durch Verdoppelung der Zahl Zwei, die sich aus der Polarität Tag und Nacht, ja und nein, Himmel und Erde etcetera ergibt, war sie eine Zahl ganz im Sinne der Pythagoräer, die die ganze Welt in Proportionen als ein Vielfaches der Zahl Zwei beschrieben beziehungsweise zu beschreiben versuchten, denn irgendwann mussten sie beim Umgang mit Primzahlen und beim Errechnen von Quadratwurzeln frustriert feststellen, dass auch die Zahlen keine Lust haben, sich in ein so enges quadratisch-praktisches Korsett stecken zu lassen (was auch eine schöne Metapher wäre für den Übergang von der Industrie- zur Terroirkultur – doch davon später).
Trotz der schon früh von einigen Intellektuellen erkannten Unzulänglichkeiten blieb die Verdoppelung der Zwei, die Vier, das symbolische Gerüst unserer westlichen Zivilisation. Sie umfasst alle Lebensbereiche. Vier Jahreszeiten, vier Himmelsrichtungen, vier Elemente. Die Psychologen kennen seit Kretschmer und C. G. Jung vier Typen von Menschen und die Christen seit Athanasius von Alexandrien die vier Evangelien. Und selbst alternative Lebensanschauungen wie zum Beispiel die momentan so populäre Anthroposophie basieren auf der Lehre Goethes mit ihren vier Metamorphosen und vier Aggregatzuständen. Die Weiterentwicklung respektive Integration der Fünf, von der die Alchimisten im Mittelalter als Quintessenz träumten, scheint neben dem babylonischen Pentagramm nur im asiatischen Kulturraum mit den Elementen Feuer, Wasser, Erde, Luft und Holz einen breiteren Eingang in die Kultur gefunden zu haben. Und noch kompliziertere Systeme, wie etwa die zehn Sefiroth der jüdischen Kaballa oder die zweiundsiebzig Erzengel respektive Namen Gottes oder gar die sich aus unserer Sicht ins Unendliche verlierenden über zehntausend verschiedenen hinduistischen Götter, sind eher etwas für Religionswissenschaftler oder esoterische Zirkel.
Obwohl … zumindest beim Geschmack ist sich die Gastro- und Weinwelt seit etwa zehn Jahren nicht mehr so ganz sicher. Über umami, die für Asiaten fünfte Grundgeschmacksart, wird immer mehr diskutiert. Und es gibt sogar Pressemitteilungen, nach denen sich die Existenz von Rezeptoren für umami auf der Zunge beweisen lassen. Neben den bekannten
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