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Terrorist

Terrorist

Titel: Terrorist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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legomenon. Ein weiteres rätselhaftes Wort in derselben Sure ist sijj ī l, obwohl es im heiligen Buch dreimal vorkommt. Der Prophet selbst hat Schwierigkeiten vorhergesehen, und im siebenten Vers der dritte Sure,Die Sippe Imrans›, räumt er ein, dass manche Ausdrücke klar – muhkam ā t — sind, andere jedoch nur für Gott verständlich. Auf diese unklaren Stellen, die so genannten mutash ā bh ā t, stürzen sich die Feinde des wahren Glaubens, die ‹böse Ränke schmieden›, wie der Prophet formuliert, während die Verständigen und Gläubigen sagen: ‹Wir glauben daran. Alles, was in der Schrift steht, stammt von unserm Herrn.› Langweile ich dich, mein Lieber?»
    «Aber nein», erwidert Ahmed aufrichtig; denn während sein Lehrer leise und ungezwungen weiterspricht, fühlt der Schüler, wie sich eine Kluft in ihm auftut, ein Abgrund, der ihn von dem Problematischen, von dem Unzugänglichen, dem Alten trennt.
    Nun beugt sich der Scheich in seinem prachtvollen Sessel abrupt vor und setzt zu einer heftigen Tirade an, zu welcher seine langfingrigen Hände entrüstet gestikulieren. «Die atheistischen Gelehrten des Westens behaupten in ihrer sündhaften Verblendung, die Heilige Schrift sei ein Sammelsurium von Fragmenten und Fälschungen, hastig zusammengeschustert und unter dem kindischsten aller möglichen Gesichtspunkte geordnet, dem des schieren Umfangs: die längsten Suren vorweg. Sie fänden darin, behaupten sie, dunkle und verzwickte Stellen ohne Ende. Zum Beispiel gab es unlängst eine recht amüsante Kontroverse über die Thesen eines deutschen Altorientalisten namens Christoph Luxenberg, der behauptet, viele Unklarheiten des Koran verschwänden, sobald man die Wörter nicht als arabische, sondern als altsyrische liest. Am berühmtesten ist seine These, dass in den großartigen Suren ‹Der Rauch› und ‹Der Berg› die Stellen, die traditionell als ‹großäugige Huris› gelesen werden, in Wirklichkeit ‹weiße Trauben› von ‹kristallener Klarheit› bedeuten. Ähnlich solle man die Stelle in der Sure ‹Der Mensch›, wo junge Knaben mit verstreuten Perlen verglichen werden, vielmehr mit ‹gekühlte Trauben› wiedergeben – was sich auf ein kühlenden Traubengetränk beziehe, das im Paradies mit erlesener Höflichkeit dargeboten wird, während die Verdammten in der Hölle geschmolzenes Metall trinken. Freilich würde das Paradies besonders durch diese neue Lesart doch für viele junge Männer entscheidend weniger attraktiv, befürchte ich. Was sagst du dazu, mein junger Freund?» Mit einer Lebhaftigkeit, die fast humorvoll wirkt, beugt sich der Lehrer noch weiter vor und setzt die Füße auf den Boden, sodass seine schwarzen Schuhe plötzlich außer Sicht geraten; sein Mund und seine Lider klappen erwartungsvoll auf.
    Erschrocken sagt Ahmed: «O nein, mich dürstet nach dem Paradies», obwohl die Kluft in ihm immer weiter aufreißt.
    «Es ist nicht nur eine Attraktion», setzt Scheich Rashid nach, «nicht nur ein ferner Ort, den man gern besuchen würde, wie Hawaii, sondern etwas, wonach wir uns sehnen, uns brennend sehnen, nicht wahr?»
    «Ja.»
    «So sehr, dass uns Ungeduld mit dieser Welt hier erfüllt, mit diesem trüben, trostlosen Schattenbild der nächsten?»
    «Ja, richtig.»
    «Und selbst wenn die großäugigen Huris lediglich weiße Trauben wären – vermindert das dein Verlangen nach dem Paradies?»
    All diese Bilder vom Jenseits wirbeln Ahmed durch den Kopf; dennoch sagt er: «Aber nein, Sir, ganz und gar nicht.»
    Andere könnten diesen provokativen Launen von Scheich Rashid als satirische Anflüge deuten, ja sogar als gefährliches Liebäugeln mit dem Höllenfeuer, doch Ahmed hat sie immer mäeutisch verstanden, als Mittel, den Schüler zur Preisgabe seiner unumgänglichen Verdüsterungen und Wirrnisse zu reizen und dadurch einer seichten, krass naiven Gläubigkeit Tiefe zu verleihen. Heute aber empfindet Ahmed den mäeutischen Sarkasmus als ätzend, sein Magen reagiert gereizt darauf; er möchte, dass die Unterrichtsstunde endet.
    «Gut», befindet der Lehrer, und sein Mund zieht sich ruckartig zu einer prallen, fleischigen Knospe zusammen. «In mir hat immer das Empfinden überwogen, dass die Huris Metaphern für eine unvorstellbare Seligkeit sind, für eine keusche, unendliche Seligkeit, und nicht buchstäblich das Versprechen der Kopulation mit leibhaftigen – warmen, runden, unterwürfigen – Frauen. Gewiss ist die Kopulation, wie sie im Allgemeinen erlebt wird,

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