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Terrorist

Terrorist

Titel: Terrorist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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der Schüler des Abschlussjahrgangs in ihren wehenden schwarzen Talaren und besorgniserregend wacklig aufgesetzten quadratischen Kopfbedeckungen und enden mit deren flotter – unter Grinsen, High Fives, und Begrüßungen der Eltern – verlaufenden Auszug durch den Mittelgang zu den Klängen von «Colonel Bogey’s March» und «When the Saints Go Marchin’ In». Selbst die aufsässigsten und widerborstigsten Schüler, selbst solche, auf deren Kopfbedeckungen in Lettern aus weißem Klebeband ENDLICH FREI prangt oder die in ihre Huttroddel frech einen Strauß von Papierblumen eingeflochten haben, wirken wie gezähmt von dem feierlichen, finalen Zauber der Zeremonie und dem abgenutzten Pathos der Reden. Leistet einen Beitrag zu Amerika, bekommen sie zu hören. Nehmt euren Platz in den Armeen des demokratischen Unternehmergeistes ein. Auch wenn ihr nach Erfolg strebt, seid freundlich zu euren Mitmenschen. Behaltet das Gemeinwohl im Sinn, trotz aller Skandale um ungesetzliche Geschäftspraktiken und politische Korruption, mit denen uns die Medien täglich entmutigen und anwidern. Nun beginnt das wirkliche Leben, bekommen sie zu hören: der Garten Eden der Schule hat seine Pforte geschlossen. Ein Garten, überlegt Levy, des schablonenhaften, geflissentlich ignorierten Unterrichts, jedoch gleichwohl ein Garten, ein von Unkraut überwucherter Acker der Hoffnungen, eine struppige, schlecht bestellte Plantage dessen, was dieses Land gern sein möchte. Sieh über die bewaffneten Polizisten hinweg, die hier und dort hinten im Auditorium Posten bezogen haben, und über die Metalldetektoren an jedem Eingang, der nicht verrammelt und verriegelt ist. Achte vielmehr auf die Schulabgänger, auf den lächelnden Ernst, den sie an den Tag legen, auf den loyalen Beifall, der keinem von ihnen vorenthalten wird, auch nicht dem Geringsten und Unscheinbarsten unter ihnen, auf ihren kurzen Gang über die Bühne, unter dem Proszenium, das an ein altes Kino gemahnt, und zwischen Blumen- und Farnarrangements hindurch, um ihre Urkunden aus der Hand des aalglatten Nat Jeffcrson entgegenzunehmen, dem das Schulsystem von New Prospect untersteht, während die amtierende Schulleiterin, die winzige Irene Tsoutsouros, ihre Namen ins Mikro singt. Der Verschiedenartigkeit der Namen entspricht diejenige der Fußbekleidungen, die unter den wippenden Talarsäumen zum Vorschein kommen: In ausgelatschten Nikes schlendern sie nach vorne, trippeln auf Stilettabsätzen vorbei oder schlurfen in schlappen Sandalen dahin.
    Es verschnürt Jack Levy die Kehle. Diese Gefügigkeit menschlicher Geschöpfe, ihre ewige Bereitschaft zu gefallen. Europas Juden, die sich in ihrer besten Kleidung eingefunden haben, um sich in die Todeslager abführen zu lassen. Die Schüler und Schülerinnen hier, die, plötzlich zu Männern und Frauen geworden, Nat Jeffersons routinierte Hand schütteln, etwas, was sie noch nie getan haben und nie wieder tun werden. Der breitschultrige schwarze Verwaltungsmann – ein meisterlicher Surfer auf den Wellen der Lokalpolitik, in der die Wählermacht von den Weißen auf die Schwarzen und nun auf die Latinos übergegangen ist – frischt sein Lächeln für jedes einzelne Schulabgängergesicht auf und begegnet, wie Jack bemerkt, mit besonderer Huld den Weißen, die an dieser Schule eine klare Minderheit bilden. Danke, dass du uns die Stange gehalten hast, besagt sein lang anhaltender Händedruck. Wir werden dafür sorgen, dass Amerika/New Prospect/Central High funktioniert. Auf halber Strecke durch ihre scheinbar endlose Liste verliest Irene «Ahmed Ashmawy Mulloy». Der Junge bewegt sich anmutig, trotz seiner Größe nicht linkisch, erfüllt seine Rolle, ohne sich zur Schau zu stellen – es ist unter seiner Würde, sich winkend und kichernd für Anhänger im Publikum in Positur zu werfen, wie einige andere es tun. Er hat nicht viele Anhänger – der Applaus für ihn fällt spärlich aus. Verstohlen kämpft Levy mit geballter Hand gegen die Tränen an, die ihn zu beiden Seiten der Nase zu kitzeln beginnen. Der Segen wird von einem katholischen Priester und, zur Beschwichtigung der muslimischen Gemeinschaft, von einem Imam gesprochen. Ein Rabbi und ein presbyterianischer Geistlicher haben bereits Bittgebete vorgetragen, beide übertrieben lang für Levys Geschmack. Der Imam, in einem Kaftan und einem engen, blendend weißen Turban, steht am Vortragspult und quengelt einen Zopf arabischer Laute hervor, als stäche er mit einem Dolch auf das stumme

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