Terrorist
Publikum ein. Dann spricht er auf Englisch weiter; vielleicht trägt er nun die Übersetzung vor: «Im Namen dessen, der über das Verborgene wie über das Sichtbare Bescheid weiß! Des Erhabenen! Des Höchsten! Gott ist der Schöpfer aller Dinge! Er ist der Eine! der Allgewaltige! Er hat vom Himmel Wasser herabkommen lassen, und da strömten ganze Wadis mit Wasser, so viel ihnen zugemessen war. Und die Flut trug an der Oberfläche Schaum. Und bei dem, was man im Feuer erhitzt in der Absicht, Schmuck oder Gerät zu erhalten, gibt es Schaum, der ihm ähnlich ist. Was den Schaum betrifft, so vergeht er als Abfall. Was aber das betrifft, was für die Menschen von Nutzen ist, so bleibt es in der Erde. Zu denen, die heute von der Schule abgehen, sagen wir: Erhebt euch über den Schaum, den Abfall, und erweist euch als nützlieh auf Erden. Denjenigen, die der gerade Weg in Gefahr führt, rufen wir die Worte des Propheten zu: ‹Und sagt nicht von denen, die um der Sache Gottes willen getötet werden, sie seien tot. Sie sind vielmehr lebendig! ›» Levy betrachtet den Imam genau – ein schmächtiger, makellos gewandeter Mann, der ein Glaubensgebäude verkörpert, das wenige Jahre zuvor unter anderem den Tod Hunderter von Pendlern aus dem Norden New Jerseys herbeigeführt hat. An den höheren Aussichtspunkten in New Prospect versammelten sich damals Menschenmengen, um den Rauch aus den beiden Türmen des World Trade Center quellen und nach Brooklyn driften zu sehen, die einzige Wolke an jenem klaren Tag. Als Levy an das umkämpfte Israel und an die jammervoll wenigen verbliebenen Synagogen Europas denkt, die bei Tag und bei Nacht von Polizisten bewacht werden müssen, schwindet sein anfänglich guter Wille dem Imam gegenüber dahin: Dieser Mann im weißen Gewand steckt wie eine Gräte im Schlund der Feier. Levy stört sich nicht daran, dass Hochwürden Corcoran den Segen des dreifaltigen Gottes in den Deckel der Zeremonie nagelt; seit Generationen haben sich Juden und Iren die Städte Amerikas geteilt, und nicht Jack Levys Generation, sondern die seines Vaters und Großvaters musste erdulden, als «Christusmörder» geschmäht zu werden.
«So, Mann, geschafft», sagt der Lehrer rechts von Jack Levy, Adam Bronson, ein Immigrant aus Barbados, der die zehnten und elften Klassen in kaufmännischem Rechnen unterrichtet. «Ich danke Gott jedes Mal, wenn das Schuljahr ohne Morde abgelaufen ist.»
«Du siehst zu viel fern», sagt Jack zu ihm. «Wir sind kein Columbine; das war Colorado – der Wilde Westen. Central ist jetzt sicherer als zu der Zeit, als ich hier zur Schule gegangen bin. Damals hatten die schwarzen Gangs selbstgebastelte Knarren, und es gab weder Sicherheitsschleusen noch Sicherheitspersonal. Die Kollegen, die auf den Gängen Aufsicht führten, sollten für Sicherheit sorgen. Die hatten Glück, wenn sie nicht die Treppe hinuntergestoßen wurden.»
«Als ich hier ankam, könnt ich’s erst nicht glauben», erzählt ihm Adam in seinem schwer verständlichen Akzent, in den Klängen einer sanften Insel, mit melodischen Steeldrum-Salven im Hintergrund, «auf den Fluren und in der Kantine Polizisten! In Barbados haben wir uns zerfledderte Bücher geteilt und Notizpapier auf beiden Seiten voll geschrieben, jeden kleinsten Zettel, so kostbar war Bildung für uns. Nicht im Traum hätten wir daran gedacht, Mist zu bauen. In dieser grandiosen Burg hier braucht ihr Wärter wie in einem Knast, und die Schüler benehmen sich so destruktiv, wie sie nur können. Diesen amerikanischen Hass auf Anstand und Ordnung begreife ich einfach nicht.»
«Ich verstehe ihn als Freiheitsliebe.»
«Meine Schüler glauben nicht, dass sie je im Kopf werden rechnen müssen. Der Computer wird das alles für sie erledigen, bilden sie sich ein. Sie meinen, der menschliche Verstand ist von jetzt an auf Dauerurlaub und nur noch dazu da, Unterhaltung aufzunehmen.»
Der Lehrkörper schließt sich in Zweierreihen der Prozession an, und Adam tritt vor Levy neben einen Lehrer, der auf der gegenüberliegenden Seite gesessen hat, in den Mittelgang hinaus, wendet sich dann aber um und setzt das Gespräch fort. «Sag mir eins, Jack. Es gibt da was, wonach ich keinen fragen mag, weil’s mir zu peinlich ist. Wer ist eigentlich dieser J. Lo? Von dem reden meine Schüler andauernd.»
«Eine Frau. Eine Sängerin, Schauspielerin», ruft Jack nach vorn. «Latina, sehr gut gebaut, hat offenbar einen tollen Hintern. Mehr kann ich dir auch nicht sagen. Es kommt
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