Testplanet Kratos
Mußestunde stellte sich Conrad eine Reihe von einhundert in Stahl eingeschlossener Würste vor, die sich irgendwo auf der sechzehn Lichtjahre langen Strecke zwischen Terra und Kratos befanden. Er sah in Gedanken, wie sie mit unvorstellbarer Geschwindigkeit, in der die Lichtjahre zu vernachlässigenden Größen wurden, durch das All sausten. Aber er wußte, daß dem in der Realität nicht so war. Im Rahmen des normalen Raum-Zeit-Kontinuums existierten die Scheintod-Kammern, die sich nun auf dem Weg nach Kratos befanden, gar nicht. Sie und ihr Inhalt waren momentan nicht mehr als molekulare Echos, wie die Halbraum-Physiker das nannten, und befanden sich in einem Kontinuum, das offenbar nur mathematisch definiert werden konnte.
Wie dem auch sei, wichtig war allein, daß der Materie-Empfänger funktionierte. Die Kontrollinstrumente auf ihm zeigten an, daß er jeden Augenblick aktiv werden konnte, daß alles für den Empfang bereit war.
Mit Ausnahme von Lou Andreas hatten sich alle ENTS und die Roboter Matthew und Mark hier versammelt. Immerhin stand ein bedeutendes Ereignis an.
Der Materie-Empfänger bestand im wesentlichen aus einem großen Stahlkasten mit einer massiven, vakuumversiegelten Tür. In ihm befand sich ein eingebauter Atom-Generator, um die immensen Volt-Mengen für das Empfangsfeld zu produzieren.
Dann wurde mit einem plötzlichen Zischen alle Luft aus der Empfangskammer gesaugt.
»Empfangs-Sequenz Eins angelaufen«, verkündete Matthew. »Alle Systeme normal … Molekular-Echos stimmen nun mit Gleich-Muster überein … Akzeptanz-Sequenz beginnt. Alle Systeme normal. Physikalische Auflösung setzt ein. Alle Systeme normal.«
Conrad sah fasziniert auf den Materie-Empfänger, obwohl zum gegenwärtigen Zeitpunkt dort noch nichts zu sehen war. Aber innerhalb dieses rätselhaften schwarzen Kastens vollzog sich gerade ein Wunder. Materie – Stahl, Fleisch, Knochen, Blut –, die die Lichtjahre als gewaltige, doch insubstantielle Wolke aus Halbraum-Strahlung überquert hatte, verwandelte sich nun in ihre Normalform zurück. Conrad mußte plötzlich an das Wort eines antiken terranischen Philosophen denken: Was der Mensch sich in seiner Phantasie vorstellt und wünscht, das wird er schließlich erreichen.
Lieutenant Smith zitterte. »Ich komme mir vor wie in der Gesellschaft von Gespenstern.«
Kwango lachte. »Diese Gespenster werden leben und weitere Gespenster in die Welt setzen. Sicher dauert es nicht lange, bis wir auch hier vor dem Problem der Überbevölkerung stehen.«
»Wie unser geliebter Bruder Lou es ausgedrückt hätte«, sagte Fidel, »Sie haben für jedes Töpfchen ein Deckelchen, Kurt.«
Chantana lächelte sanft. »Als Ökologe sollten Sie wissen, Kurt, daß es mindestens tausend Jahre dauert, bevor Kratos vor dem Problem der Überbevölkerung steht. Und es ist gar nicht so unmöglich, daß die Menschheit bis dahin etwas schlauer geworden ist.«
»Physikalische Auflösung abgeschlossen«, verkündete Matthew. »Alle Systeme normal. ST-Einheit Eins bereit zur Auslieferung. Neue Instruktionen erbeten.«
»Aufmachen«, sagte Conrad. »Roll das Ding zu uns heraus.«
»Entscheidung bestätigt«, antwortete Matthew wie gewohnt ungerührt. »Ausführung beginnt.«
Wieder ein plötzliches Zischen, als die Luft in die Kammer einströmte. Matthew drückte auf den Knopf, der die Vakuumversiegelung öffnete. Die Tür des Materie-Empfängers öffnete sich.
Mark trat in die Kammer und zog einen Titanium-Zylinder nach draußen, der an den Enden abgerundet war und so stark an eine riesige mexikanische Springbohne erinnerte. Der Zylinder glitt, ohne ein Geräusch zu machen, auf seinen eingelassenen Rollen vor die Kammer.
Mit einer Schablone gemalt stand in großen Buchstaben auf der Seite des Zylinders das Wort: Arzt. In kleineren Lettern war darunter zu lesen: John K. Howard – Alter: 29 – IQ 175 – Spezialist für Tropenkrankheiten – Heimatland: USA.
»Willkommen auf Kratos«, begrüßte Conrad den Zylinder. Dann wandte er sich an den Roboter Mark. »Roll ihn in die Sammelstelle.«
»Entscheidung registriert, Commander. Ausführung läuft an.«
Matthew meldete sich: »Instruktion erbeten zur Aufnahme des Wiederbelebungs-Zyklus.«
»Instruktion erteilt.«
»Entscheidung bestätigt. Ausführung beginnt.«
Der nächste Zylinder rollte sieben Minuten später aus dem Materie-Empfänger.
Die Aufschrift verkündete in großen Buchstaben: Geologe. Kleiner stand darunter: Michail Subakow –
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