Teufelsengel
nicht. Vero umschloss ihr Handgelenk, um ihren Puls zu fühlen, doch da war nichts. Er hielt die Wange an Pias leicht geöffneten Mund und richtete sich erleichtert wieder auf. Er hatte ihren Atem gespürt.
»Pia?«
Er legte ihr die Hand auf die Stirn und erschrak. Sie war glühend heiß. Das Fieber musste sehr hoch sein. Wie lange hatte sie hier auf dem ausgekühlten Boden gelegen?
Er lief zum Bett und griff nach der Decke.
Es passierte manchmal, dass der Dämon sich solcher Mittel bediente, um an sein Ziel zu gelangen. Auch Sally hatte mit Fieberschüben reagiert. Mit der Zeit war sie immer dünner geworden. Sie hatte kaum noch Appetit gehabt und das wenige Essen häufig wieder erbrochen.
»Lass sie in Ruhe«, sagte er laut. »Wage es nicht, mir dieses Mädchen zu nehmen.«
Er warf die Decke über Pia, holte ein Handtuch aus dem Badezimmer und rubbelte ihr das schweißnasse Haar trocken. Dann schob er die Arme unter den reglosen Körper und hob ihn hoch.
Die Schmerzen in seinem Rücken explodierten.
Er unterdrückte einen Schrei, verwünschte Satan, verwünschte sich selbst, rannte, so schnell die Last auf seinen Armen es erlaubte, in Richtung Kirche. Er würde Pia im Haupthaus unterbringen.
Wie er es zum Schluss auch mit Sally getan hatte.
Alles schien sich zu wiederholen.
Pias Atem ging rasselnd. Vero hoffte, dass sie keine Lungenentzündung hatte. Er würde Bruder Benno bitten, sie sich anzusehen. Jedenfalls war ihm wohler bei dem Gedanken, sie im Haupthaus zu wissen, wo sie es warm hatte und in seiner Nähe war.
»Du wirst sie nicht kriegen«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Eher töte ich sie.«
Pia hörte seine Worte am Rand ihres Bewusstseins. Wie man Geräusche hört, wenn man sich unter Wasser befindet.
Er brachte sie weg.
Wohin?
Ein Hund bellte.
Snoop, dachte sie und wollte lächeln, doch ihr Gesicht, ihr ganzer Körper gehorchte ihr nicht.
Sie hatte Veros Worte nicht verstanden, doch sie wusste, es würde weitergehen, weiter und weiter.
Sie wusste auch, dass sie es nicht noch einmal ertragen würde.
Lieber Gott, dachte sie. Lieb …
Ihr Kopf hing über Veros Arm. Er baumelte haltlos im Rhythmus seiner Schritte. Das spürte sie noch, bevor Schwärze über ihr zusammenschlug.
Kapitel 26
… uddelbuch … letzter Eintr …
… dass jemand … Diktier … findet … es nicht kaputt … olizei … Hilfe für Pia und … dritter … ock … Vorsicht … Morde zusammen … Krrrzzzchch … Krrr …
Bruder Arno wurde nicht schlau aus den Wortfetzen, aber er erkannte Romys Stimme und wusste sofort, was er da in der Hand hielt. Er stopfte das Diktiergerät, das äußerlich fast unversehrt war, in die Tasche und kehrte in sein Atelier zurück. Der kurze Gang hatte ihn beruhigen sollen, doch tatsächlich hatte er ihn nur noch mehr aufgewühlt.
Ich bin kein Mörder.
Vero hatte ihnen noch nicht mitgeteilt, wie das Mädchen sterben sollte. Jeder Tod musste zu dem Opfer in enger Verbindung stehen. So war es immer gewesen.
Mona hatte versucht, bei den Mitgliedern des inneren Kreises Stimmung gegen die Teufelsaustreibungen bei Sally zu machen. Mit ihrem eigenen Halstuch hatte man ihr die Luft abgeschnürt.
Alice, die mit Sally befreundet gewesen war, wollte reden. Sie hatten ihr die Kehle durchgeschnitten.
Ingmar hatte vorgehabt, die Gemeinschaft zu verlassen. Man hatte ihn überfahren, bis er reglos liegen geblieben war.
Thomas schließlich hatte gezweifelt. Sie hatten ihn ertränkt, und es war gewesen wie die letzte, die endgültige Taufe.
Bei Sally war es anders gewesen. Sie hatten sie aus Gnade getötet, schmerzlos und sanft, so, wie man ein krankes Pferd mit einem einzigen Schuss von seinem Leiden erlöst. Es war besser, tot zu sein, als dem Teufel endgültig zu verfallen.
Und nun Romy.
Bruder Arno würde das Diktiergerät verschwinden lassen. Vero brauchte nicht zu erfahren, dass er es bei Romys Durchsuchung übersehen hatte. Nicht auszudenken, wenn es jenseits der Klostermauern gelandet wäre.
Auch wenn die Worte nur bruchstückhaft zu verstehen waren, das Material hätte womöglich ausgereicht, um die Stimme des Mädchens zu identifizieren und eine Verbindung zum Kloster herzustellen.
Noch war ein wenig Zeit. Zum Nachdenken. Zum Mutfassen. Noch war Zeit.
Calypso hielt das Warten nicht mehr aus. Er ließ Helen und Tonja vor dem Fernseher sitzen und ging in den Flur. In der obersten Schublade der Kommode verwahrten sie den
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