Teufelsengel
Informationen habe ich schon ergattert.«
Calypso fand ihr Tempo beeindruckend. Und ihre Fähigkeit, direkt auf das Ziel loszusteuern. Er beneidete sie um die Kompromisslosigkeit, mit der sie ihren Traum verfolgt hatte - für Zeitungen zu schreiben.
»Von Ingo«, fuhr sie fort. »Ich hatte das zweifelhafte Vergnügen, ein zweites Frühstück mit Mister Größenwahn einzunehmen.«
Zweifelhaft und Größenwahn waren genau die richtigen Worte. Calypso hatte sich ein paar Mal mit diesem Ingo Pangold unterhalten und danach das dringende Bedürfnis gehabt, sich die Hände abzuschrubben.
Ingo war ein Ein-Mann-Unternehmen, erfolgsorientiert und konsequent. Er gab niemandem Auskunft, von dem er sich nicht einen Vorteil versprach, und legte jedem Steine in den Weg, den er als Konkurrenz empfand.
Seine Arbeiten waren perfekt recherchiert, aber kalt und ohne Herzblut geschrieben, und vor ein paar Monaten hatte eine renommierte Professorin für Geschichte, deren Privatleben er an die Öffentlichkeit gezerrt hatte, nach einem seiner Artikel einen Selbstmordversuch unternommen. Ingo Pangold hatte von ihrer heimlichen Lebensgefährtin erfahren und beide als Lesbierinnen geoutet.
Romy hatte sich furchtbar darüber aufgeregt. Und nicht nur sie. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war Ingo Pangold zum meistgehassten Mann der Szene geworden.
»Ein zweites Frühstück?«
Auch diese Seite an Romy war Calypso vertraut. Für eine wichtige Information nahm sie alles in Kauf, sogar ein Frühstück mit einem Kotzbrocken wie Pangold.
»Und das ist dir nicht gleich wieder hochgekommen?«
»Ich hab seinen Namen!«
Calypso schaute sie verständnislos an.
»Den des Ermordeten aus dem See.«
»Hättest du den nicht auch über die Bullen rauskriegen können?«
»Sag mal, Cal, in welcher Welt lebst du eigentlich? Ich bin eine popelige kleine Volontärin. Ich habe null Verbindungen. Glaubst du, die reißen sich darum, mir höflich Auskunft zu erteilen? Die Ermittlungen sind im vollen Gange. Da sind die stummer als Fische.«
»Ingo gegenüber nicht?«
»Der ist ein alter Hase und hat sich im Lauf der Jahre ein Netzwerk von Kontakten aufgebaut. Irgendeine undichte Stelle gibt es immer. Eine Hand wäscht die andere, so läuft das doch.«
Die Welt, die Romy da beschrieb, war tatsächlich nicht die Welt, in der Calypso lebte. In seiner Welt waren die Hierarchien klar umrissen. Man stieg nicht auf, weil man kreativ war oder originell, sondern weil man mit Zahlen und Fakten umgehen konnte. Natürlich spielten auch Fleiß und Beharrlichkeit eine Rolle, aber man landete nicht irgendeinen Coup, wie das in den Medien möglich war, und wurde dann dafür belohnt.
»Willst du nicht wissen, wie er heißt?«
Romys Augen funkelten.
»Wer?«
»Der Tote natürlich.«
Calypso war es eigentlich ziemlich schnuppe, wie er hieß, doch damit würde er bei Romy nicht durchkommen. Also nickte er.
»Thomas Dorau.«
Sie strahlte ihn an.
War das alles? Ein Name? Und darüber freute sie sich so?
»Das ist aber noch nicht alles«, beantwortete sie seine Gedanken. »Er hatte eine Tätowierung am Handgelenk.«
Jetzt war ihr Blick triumphierend.
»Am Handgelenk? Komische Stelle für ein Tattoo.«
»Es kommt noch besser: Er hat sich nicht etwa einen Drachen in die Haut ritzen lassen, einen Adler, eine nackte Frau oder ein Herz mit dem Namen seiner Freundin darin.«
»Sondern?«
»Ein aufgeschlagenes Buch.«
»Da sag noch mal einer, die Leute würden nicht mehr l esen.«
»Ein aufgeschlagenes Buch, Cal!«
»Und?« Calypso hob die Schultern. »Was sagt uns das?«
»Spürst du das denn nicht?«
Er spürte nur, dass er hungrig war. Seine Blicke wanderten sehnsüchtig zur Küchentür.
»Dass Thomas Dorau den Traum vom eigenen Buch träumt?«
»Du machst dich über mich lustig.«
»Mach ich nicht. Sag mir, was es bedeutet.«
»Das Tattoo ist so ungewöhnlich und so … besonders, dass es für den Toten wesentlich mehr gewesen sein muss als ein bloßer Körperschmuck oder reiner Ausdruck von Sentimentalität. Ich werde das recherchieren. Aber eins weiß ich jetzt schon: Das ist die Geschichte. Und sie gehört mir. Ist das nicht Wahnsinn?«
Calypso lief das Wasser im Mund zusammen, denn er sah, wie die Kellnerin mit einem dampfenden Teller auf ihn zuschwebte. Und tatsächlich setzte sie ihn vor Calypso auf dem Tisch ab.
»Lass es dir schmecken«, sagte sie mit einer Stimme, in der unzählige Zigaretten ihre Spuren hinterlassen hatten.
Darauf konnte sie
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