Teufelsmond
in den Häusern hört man Ketten im Kamin rasseln, Gegenstände fallen vom Tisch, Türen und Fenster öffnen sich, und die Kerzen malen Schatten an die Wand, die in Wirklichkeit Gespenster sind …»
«Hört auf, hört auf, Pater! Mich graut es bei diesen Geschichten.» Der Abt schüttelte sich. «Gleichwohl müsst Ihr einsehen, dass es wohl kaum einen geeigneteren Zeitpunkt gibt, Euer Amt als Exorzist anzutreten. Wann, wenn nicht in den Raunächten, könnte man dem Teufel besser auf die Spur kommen?»
Pater Fürchtegott hatte den Blick in die Ferne gerichtet und sprach weiter mit dieser seltsamen dunklen Stimme: «An Silvester, Schlag Mitternacht, sprechen die Tiere im Stall mit menschlicher Stimme. Und jeder, der sie hört, muss sterben.»
Der Abt begann zu zittern, und der Monsignore fingerte nach seinem Rosenkranz.
«An einigen Orten beschweren sich die Tiere bei den Geistern über ihre Herren. Und wehe dem, der sein Vieh geschlagen hat!»
«Genug, ich bitte Euch, Pater!» Das Gesicht des Abtes war aschfahl geworden.
«Unverheiratete Frauen laufen zu den Kreuzwegen, um ihre zukünftigen Ehemänner zu erblicken. Aber Vorsicht!»
Pater Fürchtegott hob den Finger. «Schweigen müssen die Weiber, wenn der Liebste vorübergeht. Tun sie es nicht, ist ihnen der Tod gewiss.»
Er sah dem Monsignore in die Augen. «Habt Ihr Euch etwa noch nie gefragt, woher die vielen jungen Weiber auf den Friedhöfen kommen?»
Der Monsignore schluckte.
«Schluss jetzt!» Der Abt ließ die Faust auf den Tisch krachen, dass die Weinpokale klirrten. «Ammenmärchen. Nichts als Ammenmärchen sind das.» Er wandte sich an den Monsignore. «Oder habt Ihr an Silvester schon einmal einen Werwolf gesehen?»
Der Monsignore schluckte wieder und dachte an das gewaltige zottige Vieh, welches ihm im letzten Jahr am Silvesterabend erschienen war. Er war auf dem Heimweg von seinem Liebchen gewesen. Und das gräuliche Tier hatte sich ihm zugesellt. Stumm war es neben ihm hergetrottet und hatte dabei einen Blick! Dem Monsignore schwindelte jetzt noch. Gleich am nächsten Tag hatte er seinem Liebchen den Abschied gegeben. Denn wer sonst als sie konnte die Bestie gewesen sein? Der Monsignore hatte Mühe, das Zittern seiner Hände zu verbergen.
«Ihr geht, und zwar morgen früh.» Der Abt funkelte den Pater drohend an. «Kein Widerwort!»
Pater Fürchtegott zuckte mit keiner Wimper.
«Unter einer Bedingung.»
«Pater! Wir sind doch hier nicht im Tempel!»
«Steht in der Bibel nicht: ‹Eine Hand wäscht die andere›?», fragte der Pater mit Unschuldsmiene. «Oder ist Euch ‹Auge um Auge, Zahn um Zahn› lieber?»
Der Abt schnappte nach Luft, der Monsignore fauchte: «Wie lautet Eure Bedingung?»
«Ich möchte nach Erledigung meiner Aufgabe draußen in der Welt zurück hinter Klostermauern. Hinter diese Klostermauern.»
Der Abt machte dem Monsignore hinter Pater Fürchtegotts Rücken heimlich Zeichen, doch der Vertreter des Erzbischofs reagierte nicht. «Abgemacht, Pater. Gleich morgen früh zieht Ihr von dannen. Und wenn es in Nordhessen nichts mehr zu tun gibt, wenn Ihr das Gebiet von allen Übeln befreit habt, dann kommt Ihr zurück in die warmen Arme des Klosters.»
«Was heißt hier von
allen
Übeln? Bisher war nur von Nachzehrern die Rede.» Misstrauen stand im Gesicht des Paters.
Der Monsignore winkte ab. «Nur eine Redensart, nichts weiter. Kümmert Euch um diese Wiedergänger dort, und dann ist Euch der Dank des Herrn und der Mutter Kirche gewiss.»
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Zweites Kapitel
Die Zeit des Sterbens, der Samhain, hatte begonnen. Die alte Grit hatte den Monat November immer so genannt, weil sich viele alte Leute aus Angst vor den trüben Wochen und der Kälte zum Sterben anschickten. Sie hockten sich nahe ans Feuer, obwohl die Glut ihre alten Knochen längst nicht mehr wärmte. Sie krochen unter Kissen und Decken, aßen so wenig wie möglich, bis sie schließlich starben, und ihre Leichen mussten oft bis zum Frühjahr auf das Begräbnis warten, weil der Boden gefroren war. Die alte Grit hatte erzählt, dass sich in der alten Zeit die Seelen um den November-Neumond herum neue Mütter aussuchten. Deshalb nannte man den Novemberanfang auch Allerseelen.
In diesem Jahr war im Weiler erst ein Mensch gestorben. Die Grit.
Das Kind der Seifensiederin lag elend danieder, aber das würde schon wieder werden. Das Kind war jung und kräftig. Die alte Grit war es nicht gewesen. Wenigstens nicht in letzter Zeit.
Sie hatte
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