Teufelsmond
hatte, sondern des Nachts in einem Heuschober Unterschlupf suchen musste. Für ein Mitglied des reichen Benediktinerordens war das ungewöhnlich, das wusste selbst Karla, die bisher nicht mehr als eine Handvoll Mönche gesehen hatte. Aber sogar im finstersten Tal kannte man den Orden, dem sie hier Abgaben zu entrichten hatten. Der schickte seine Mönche niemals ohne Mittel und nur selten allein auf Wanderschaft. Also war dieser Benediktiner hier entweder ein Klosterflüchtling oder ein Ausgestoßener. Vielleicht war er aber auch einer, der sein Armuts- und Keuschheitsgelöbnis ernst nahm. Der an seinem Glauben festhielt. So, wie die alte Grit an ihrem Glauben festgehalten hatte.
Der Mönch bat am benachbarten Käsestand um ein Bröckchen Quark. Seine Stimme klang ein wenig rau und sanft zugleich. Im selben Augenblick sah Karla, dass sich ein Junge näherte, der sich hastig nach allen Seiten umsah und immer dichter an den Mönch heranschlich.
Da kam Karla ein Gedanke, so verlockend schön und warm wie eine zarte Frühlingsbrise. Plötzlich wusste sie, dass jener Mönch der Ausweg war, nach dem sie verzweifelt gesucht hatte.
Sie duckte sich unter die Plane einer Marktbude und beobachtete, wie der Junge dem Mönch den Beutel vom Gürtel schnitt und davon rannte. Als er an ihr vorbeilief, schob sie ein Bein nach vorn, sodass der Junge darüber stolperte und hinfiel. Dann packte sie den Knaben beim Kragen und zerrte ihn zwischen zwei Marktbuden.
«He, was soll das?», beschwerte sich der Junge. «Was ist los mit dir? Der Mönch ist ein Fremder. Kein Grund, mich aufzuhalten.»
«Ach, und du denkst, nur weil er nicht von hier ist, darfst du ihm unbesorgt den Beutel schneiden? Gib die Börse her.»
Der Junge presste sein Diebesgut fest an sich und sah Karla finster an. «Nein. Niemand hat etwas dagegen, dass Fremde beklaut werden. Das war schon immer so. Das weißt du genau, Karla.»
«Ja, das weiß ich. Und ich weiß auch, dass du in diesem Jahr schon die einzigen zwei Durchreisenden bestohlen hast.»
«Man muss die Feste feiern, wie sie fallen, sagt meine Mutter.»
«Der Mönch ist arm; er muss sogar im Heu übernachten. Die Armen bestiehlt man nicht. Das ist ehrlos. Hast du verstanden?»
Der Junge blickte bockig auf seine Füße, bis Karla ihn schüttelte. «Hast du mich verstanden, oder muss ich erst mit deinem großen Bruder reden? Willst du dir eine Tracht Prügel von ihm einhandeln, weil du so ungeschickt warst, dich erwischen zu lassen? Von mir? Einem Weib?»
Der Junge schüttelte den Kopf.
«Also los, gib die Börse her!»
Widerwillig reichte der Kleine Karla die Beute. «Du sagst ihm nichts, versprochen?»
«Versprochen. Und jetzt mach, dass du verschwindest. Wenn du gefragt wirst, hast du mich nicht gesehen. Ist das klar?»
Der Junge sah Karla mit großen Augen an. «Willst du das Geld etwa selbst behalten?»
«Nein. Natürlich nicht. Ich bin keine Beutelschneiderin. Wenn der Mönch den Weiler verlässt, passe ich ihn ab und gebe ihm sein Eigentum zurück. Er ist ein Gottesmann. Solche bestiehlt man schon gar nicht. Das ist, als würde man Gott selbst beklauen. Verstehst du?»
Der Junge nickte und rannte davon, sobald Karla den Griff an seinem Kragen gelockert hatte.
Karla steckte die Börse des Mönches ein und wartete.
Der Mönch aß den Quark und das Brot, trank seinen Würzwein aus und schaute nach dem Stand der Sonne. Karla tat es ihm nach. Es war später Vormittag. Die Stiefmutter würde schon auf sie warten. Nur schnell ein wenig Schmalz hatte sie einkaufen sollen und dann sogleich zurückkommen, um die Wäsche zu waschen und auf die jüngeren Stiefgeschwister aufzupassen. In ihrer rechten Hand hielt sie die kleine Kupfermünze. Karla sah an sich herab. Sie hatte ihre ausgebesserten Holzschuhe an, dazu dicke Strümpfe, ein einfaches blaues Tuchkleid, das an den Unterarmen und den Ellbogen schon ganz speckig war. Darüber trug sie einen derben braunen Umhang, der von einer einfachen Messingschließe zusammengehalten wurde, und einen grobgestrickten Schal, der ihr den Hals aufkratzte. Nicht viel Kleidung für einen Tag im November. Jetzt bedauerte Karla, dass sie ihre Schaffellweste und die Handschuhe nicht dabei hatte. Aber eine solche Gelegenheit würde sich so schnell nicht wieder ergeben. Sie dachte an die Stiefmutter, die ewig nörgelte und der sie nichts recht machen konnte. Und sie dachte an Leberecht, mit dem sie sich an Weihnachten verloben und den sie an Ostern heiraten sollte.
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