Teufelsmond
einen großen Becher Würzwein bestellte. Ab und zu schielte er zu ihr herüber, und Karla wusste, wie es weitergehen würde. Leberecht würde sich Mut antrinken, dann würde er ihr nachstellen, unter ihre Röcke langen, in ihre Brüste kneifen, ihr seinen sauren Weinatem ins Gesicht blasen und seine Zunge, die wie ein Putzlumpen schmeckte, in ihre Mundhöhle stoßen. Und sie würde sich wieder gegen ihn wehren müssen, würde mit dem Knie in seine Leibesmitte zielen, dass er von ihr abließ, und einen Tag später würde er sich bei ihrem Vater beschweren, und der Vater würde der Stiefmutter berichten, und die würde dann den Schürhaken nehmen und Karla verdreschen, bis sie nicht mehr sitzen konnte. «Wie kannst du es wagen, Leberecht so auf der Nase herumzutanzen? Er ist der Sohn des Schmiedes. Eine bessere Partie gibt es hier nicht. Froh solltest du sein, dass er dich will!» Und Karla würde die Schläge über sich ergehen lassen und dabei denken: Niemals werde ich Leberechts Frau. Und sie würde sich fragen, ob ihre richtige Mutter, die im Kindbett gestorben war, sie auch mit diesem Widerling verheiratet hätte.
Gerade jetzt schielte er wieder zu ihr herüber und schüttete einen halben Becher Würzwein in sich hinein.
Ich muss fort von hier, dachte Karla. Am besten noch heute. Ich habe die Nase voll von dem Leben hier und von Leberecht erst recht. Wenn ich an meine Zukunft denke, dann graut mir. Nicht einmal die Grit ist mir geblieben.
Ein Mönch näherte sich dem Glühweinstand, und im selben Augenblick knallte Leberecht seinen leeren Becher auf das Holzbrett und verschwand in Richtung Schmiede.
Karla beobachtete den Mönch aufmerksam, schlenderte dabei ein wenig näher. Gerade mal sechs Händler hatten ihre Buden aufgebaut. Karla blieb vor dem Stand des Schlachters stehen und tat, als betrachte sie die gelben Hühnerbeine, aus denen die Stiefmutter immer Suppe kochte. Ein halber Hammel hing an einem Haken, die blaue Zunge hing ihm aus dem Maul. Dunkelrote Leberbatzen lagen auf der Auslage, ferkelfarbene Kuheuter, zerfaserte Lungen und Nieren, an denen das Fett klebte. In einem Holzkäfig flatterten ein paar Hühner herum. Junge, fette Gänse schnatterten aufgeregt ihrem Tod entgegen.
Daneben hatte eine Händlerin ihre Bude aufgebaut, die mit Stricken und Bändern handelte. In ihrer Auslage hatte sie Töpfe und Becher stehen. Daneben lagen in einem Kästchen geschnitzte Kämme, und an der Seite stand ein halbes Dutzend frischgebundene Reisigbesen.
Am Stand daneben hingen frischgegerbte Schaffelle. Der Händler trug eine Mütze aus Marderhaar auf dem Kopf, und seine Hände steckten in pelzgefütterten Handschuhen. Als Karla stehen blieb und mit der Hand über ein feingewebtes und mit Kaninchenfell verbrämtes Umschlagtuch strich, beugte er sich zu ihr: «Ich habe ein frisches Hirschkalb. Sag’s deiner Mutter. Auch Kaninchen sind noch da. Wenn’s sein muss, kann ich auch ein Rebhuhn und zwei Auerhähne abgeben.» Karla nickte, ohne seinen Worten wirklich Beachtung zu schenken. Sie wusste, dass der Mann ein Fallensteller war, der in den Wäldern Tiere jagte. Aber ihre Stiefmutter würde kein Geld haben für Wild.
Karla ging weiter. Jetzt trennte sie und den Mönch nur noch der Stand mit Spezereien und Zuckerkringeln. Tief atmete Karla den Duft ein. Wann hatte sie zuletzt einen solchen Kringel gegessen? Das musste Jahre her sein. Einmal hatte die Grit welche gebacken, aber Karla hatte ihren Kringel nicht gegessen, sondern für die jüngeren Geschwister mit nach Hause genommen. Doch die Stiefmutter hatte das Gebäck in den Abfallgraben geworfen. «Von der essen wir nichts.»
Mittlerweile stand Karla nur ein paar Meter von dem Mönch entfernt und sah ihn nachdenklich an. Sein Haar war zu lang, der Bart zu dicht, die Kutte unten am Saum verschlissen und mit Schlamm bedeckt. Das hieß, er war schon eine Weile unterwegs und würde wohl auch hier nicht bleiben. Seine Hände wirkten zu klein für den beinahe muskellosen Körper. Der Mittelfinger der rechten Hand zeigte seitlich eine Verhornung. Also war er einer, der viel schrieb oder geschrieben hatte. Außerdem war der Mönch arm. Oder geizig. Aber nein, Mönche waren niemals geizig, denn sie gaben ja das Geld anderer Leute aus. Also war er doch arm. Er hatte ein hageres Gesicht mit hohlen Wangen und einer schmalen langen Nase. An seiner Kapuze hatten sich ein paar Strohhalme verfangen. Daraus schloss Karla, dass der Mönch kein Geld für eine Herberge
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