The Cocka Hola Company: Roman
sich besser Smalltalk führen als über Filme? »Verdammt, es ist inzwischen leichter, über Filme zu reden als übers Wetter«, denkt Casco. Tiptop gibt dem Affen richtig Zucker. Er tut so, als wäre seine Begeisterung über den Film noch ganz jung und frisch und als wäre es ihm ein dringendes Bedürfnis, darüber zu reden. Casco hat irgendwo das Plakat zum Film gesehen. Der Titel ist mit verschiedenen Buchstaben geschrieben, als wären sie aus Zeitungen ausgerissen wie in einem Erpresserbrief. Tiptop erzählt drauflos, Casco erhebt keine Einwände, obwohl er den Film in einer Dreiviertelstunde selber sehen will. Er denkt, am besten, er sorgt dafür, dass Tiptop nicht noch nervöser wird, als er ohnehin schon ist.
Laut Tiptop geht es in dem Film um Folgendes: John Kendall, die Hauptfigur, arbeitet irgendwas Technisches in einem komischen Gebäude mit irgendeinem Logo auf dem Dach. In den ersten zehn Minuten des Films wird ausführlich vorgeführt (so, wie er »ausführlich« sagt, zeigt Tiptop, dass er eigentlich »überdeutlich« meint), was für ein konventionelles und ziemlich langweiliges Leben Kendall führt. Zur Arbeit fahren, nach Hause fahren, Frau ohne Pep, ein paar kleine Mädchen, die »Daddy!« rufen, wenn er nach Hause kommt, Haus, Supermarkt, Parkplatz, Verkehrsstau. Nichts Besonderes. Aber eines Tages bekommt er einen anonymen Brief, in dem steht: KENDALL, YOU’RE BEING VIDEOTAPED. Konventions-Kendall begreift nicht, was das soll. Per Voice-over hört man seine Gedanken: »Hmm, wer um alles in der Welt sollte schon daran interessiert sein, mich aufzunehmen? Ich mach doch nichts, was eine Überwachung rechtfertigen würde?« Nach einiger Zeit kann er sogar das kleinste Alltagsritual nur noch so vollführen, dass er sich die jeweilige Situation auch auf der Titelseite der verfluchten New York Times vorstellen kann. Und so bleibt es. Tiptop erzählt, er hätte die ganze Zeit auf eine Auflösung oder Entwicklung gewartet. Aber beides, Auflösung wie Entwicklung, ist ausgeblieben. Es wird keine Erklärung für den Brief geliefert. Kendall verrennt sich ganz von selber in eine Normalitätsparanoia, die sein Leben zu einer viel schlimmeren Hölle macht als zuvor.
Wie sich herausstellte, ist das so ein Film, den der Zuschauer selbsttätig weiterdichten muss, anders gesagt, einer von billigster Machart. Ein Film, der Einfühlung verlangt. Aber wer zum Teufel geht denn ins Kino, um selber loszufantasieren? Tiptop erzählt, dass die ersten Leute nach einer halben Stunde gingen und er am Ende allein im Kino saß. »Die Scheißgeduld von den Leuten ist so was von verflucht kurz geworden«, sagt er mit Worten, die gegen den Wind nach Simpel riechen. Casco betrachtet die weißen Zähne seines Pornokollegen, er ist es langsam scheißleid, ihn Simpel nach dem Munde reden zu hören. Und er denkt über seine eigene Fähigkeit nach, sich in einen Einfühlungsfilm einzufühlen. Aber egal wie, er wird ihn sehen, hauptsächlich, weil er nie ein Angebot von Simpel ausschlägt, ob es nun um einen Kinobesuch geht oder um sonst was.
Gestern (Mittwoch, 9. Dez.) hat unten am Empfang von DESIREVOLUTION auf einem roten Zettel eine Nachricht von Simpel für ihn gelegen. Folgendes hatte Frl. Oppenheim mit Filzer auf den Zettel buchstabiert:
ANRUF VON SIMPEL: CASCO, SIMPEL ANRUFEN.
Frl. Oppenheim hat strengste Anweisung von PapaHans (dem Geschäftsführer und Produzenten von DESIREVOLUTION), die Schauspieler nicht das Empfangstelefon benutzen zu lassen. (»Unser Unternehmen ist ein Low-Budget-Kosmos«, hatte PapaHans gesagt, »wir müssen sorgsam mit dem Geld umgehen, wenn unterm Strich ein Plus bleiben soll.«) Also hat Casco die Produktionsstätte verlassen und ist ein paar Blocks weiter zum erstbesten Münztelefon gegangen. Simpel überraschte ihn, indem er genau ein halbes Klingelzeichen brauchte, bis er abnahm.
– Simpel.
– Casco.
– Lange her, Casco. Scheiße, gut, dass du anrufst, Casco (wenn Simpel von dem Zwischenfall bei der THE COCKA HOLA COMPANY-Aufnahme wüsste, würde er das jetzt erwähnen. Simpel scheut sich nie, die unangenehmsten Dinge auf den Tisch zu legen), saaaaaugut, dass du anrufst, wir beide gehen nämlich morgen ins Kino, du und ich, ich hab einen Film entdeckt, in dem es um MICH geht …
– Aha.
– … und um DICH, Casco. Der Film geht um mich, und er geht um dich, er geht um unsere ganze Bande, Casco. KENDALL, YOU’RE BEING VIDEOTAPED. So heißt er. Hast du so was schon mal gehört?
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