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The Doors

The Doors

Titel: The Doors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greil Marcus
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Schießerei mit einer Zeile enden lassen, die bei jedem anderen Autor prätentiös gewirkt hätte, aber auf Pynchons Terrain keineswegs deplatziert scheint – eine Zeile, die ein ganzes Buch hinter sich wissen muss, um vom Boden abheben zu können, eine Zeile, die genau den Ton trifft, den das Buch benötigt, um selbst in die Luft aufzusteigen. »Er wartete, bis er einen dunklen, sich bewegenden Schemen sah, visierte ihn an, schoss, rollte sich sofort zur Seite, und die Gestalt fiel wie eine Acid-Tablette in den Mund der Zeit« – ein Moment, der in ein Romanende übergeht, das angesichts seiner Vorahnung all dessen, was schon bald unwiederbringlich verloren sein wird, so zart und tragisch ist, dass es ohne Weiteres an die Stelle der letzten Seite von F. Scott Fitzgeralds Tender Is the Night treten könnte.
    Man kann die letzten Seiten von Pynchons Roman in der Version von »L. A. Woman« hören, die die Doors Ende 1970, am 11. Dezember, in Dallas präsentierten, einen Tag vor ihrem allerletzten Konzert, das sie in New Orleans gaben. »Es sah auch nach einem Tatort aus, der auf sein nächstes Verbrechen wartete«, schreibt Pynchon über einen als Treffpunkt vereinbarten Parkplatz; hat man dieses Bild im Kopf, so muss man unwillkürlich daran denken, wenn »L. A. Woman« auf der Bühne der State Fair Music Hall beginnt. Der Eindruck ist unheimlich, man sieht sofort nächtliche Nebelschwaden aufsteigen. Auf dem Tape, das diese Performance für die Nachwelt festgehalten hat, klingt die Band sehr weit entfernt. Morrison schreit ein gewaltiges Yeeeaaahhh! heraus, und dann kommt eine Weile gar nichts, nur ein Beat, der sich ziellos voranbewegt. Selbst als sich so etwas wie Musik herauszukristallisieren beginnt, hört man nichts als Zurückhaltung, eine Weigerung, sich zu bewegen – eine Erstarrung, die sich am darauffolgenden Abend, beim letzten Liveauftritt der Doors, lösen sollte, als Morrison mitten in seiner Performance mit dem Mikrofon auf den Boden eindrosch, bis die Bühnenbretter zersplitterten, und er sich anschließend auf die Bühne setzte und keinerlei Anstalten machte, sich zu bewegen oder zu singen. Pynchon hätte diese Show besprechen können, als er schrieb: »Es war, als wären die Geschehnisse an eine Art Grenze gestoßen. Es war, als fände man das Tor zur Vergangenheit unbewacht vor, nicht verboten, weil es das nicht sein musste.« Oder, das Ganze umgeschrieben zu einem Traum: »Doc folgte ihren schon in Regen und Schatten zerbröckelnden Fußabdrücken wie in einem untauglichen Versuch, den Weg zurück in eine Vergangenheit zu finden, die ihnen beiden zum Trotz zu der Zukunft geworden war, mit der sie es nun zu tun hatten.«
    In Dallas vergehen fast drei Minuten, bis Morrison zu singen beginnt – unverstellt, im Plauderton, entspannt, mit langen Pausen zwischen den Zeilen. Wie jeder ein paar Monate später hören kann, wenn L. A. Woman in die Plattenläden kommt, ist der Straßenpenner präsent, aber nicht auf die gleiche Weise; der Mann dort ist kaputter, er nuschelt, sein Gebaren ist verstörend – ein Mensch, der sich selbst anschreit und an seiner Kleidung zerrt.
    Als die Performance Gestalt annimmt, klingt es so, als seien sich alle vier Musiker des Songs dermaßen sicher, dass sie darauf vertrauen können, dieser werde von allein weitergehen, selbst wenn sie aufhörten, ihn zu spielen. Und es scheint tatsächlich so, als hielten sie inne, wieder und wieder, als spielten sie den Song nicht, sondern als hörten sie ihn sich eher an. Die in dem Song auftauchenden Charaktere – der Mann, der ihn singt, die Stadt, die Frau, die der Mann in seiner Fantasie verfolgt –, sie alle sind Phantome, Produkte ihrer jeweiligen Einbildung. Und dann wird der Bann gebrochen – nachdem der Penner durch einen Prediger ersetzt worden ist, der deklamiert und singt, zunächst leise und dann immer lauter, bis sein risin’ risin’ risin’ risin’! durch die Musik schallt. Mit einem Mal ist alles klar: Der Penner ist nichts weiter als ein Penner, die Stadt ist bloß eine Ansammlung von Straßen und Freeways, und die Frau ist lediglich die letzte Person, die der Penner sah, bevor er den Mund aufmachte.
    Gegen Ende der Performance, nach gut vierzehn Minuten, steigt die Band, die den Song nun wie eine Titelmelodie spielt, nach und nach aus der Musik aus. Man kann beinahe sehen, wie der Drummer, der Gitarrist und der Organist die Bühne verlassen, während ein Fremder aus der Seitenkulisse kommt und die Bühne

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